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Beitrag 1

Zu den Problemen der Reflexivität aus der deutsch-polnischen Perspektive[^* Dieser Beitrag entstand im Zusammenhang der 2023 abgegebenen Bachelorarbeit, die sich dem Thema der Reflexivität im Deutschen und im Polnischen widmet.]

Aleksander Szeląg (Jagiellonen-Universität)

Das Thema Reflexivität ist ein äußerst interessantes Phänomen in germanischen Sprachen, insbesondere im Deutschen, auf das ich mich in meiner Bachelorarbeit konzentrierte. Diese Relation zwischen dem Reflexivpronomen und dem Reflexivverb wird von einigen Philologen und Sprachwissenschaftlern ganz unterschiedlich ausgelegt. In meinem Forschungsvorhaben verwendete ich unter anderem zwei Publikationen, von denen ich den Gedankengang, die Argumentation und die Nomenklatur übernahm: Das ist einerseits die ‚Deutsche Grammatik: ein Handbuch für den Ausländerunterricht‘ von Gerhard Helbig und Joachim Buscha (Helbig / Buscha 1987a), andererseits bediente ich mich ebenfalls der ‚Übungsgrammatik Deutsch‘ derselben Autoren (Helbig / Buscha 1987b).

Mein Beitrag ist folgendermaßen gegliedert, die Abschnitte entsprechen denjenigen des Vortrags:

  • die Zielsetzung,
  • die Grundzüge der reflexiven und reziproken Relation in der Theorie von Gerhard Helbig und Joachim Buscha,
  • die Fragen, mit denen ich mich befasste,
  • die Ergebnisse der von mir konzipierten und konstru­ierten Umfrage,
  • Schlussfolgerungen.

Die Zielsetzung

Ich habe mir als Ziel für meine Bachelorarbeit vorgenommen, die Fehlerquelle beim Einsatz des Reflexivpronomens im Deutschen und im Polnischen durch angehende Germanisten zu bestimmen und zu analysieren. Ich wollte ergründen, warum meinen polnischen Mitstudenten so viele Fehler im Bereich reflexiver Verben unterlaufen.

Ich wollte untersuchen, warum die Verbindung des Reflexivpronomens mit dem Verb so viele Probleme in beiden Sprachen bereitet. Einerseits gibt es zahlreiche Beispiele für Verben, die sowohl im Deutschen als auch im Polnischen immer reflexiv verwendet werden (z. B. sich schämen ,wstydzić się’ oder sich beeilen ,spieszyć się’). Dann findet man ebenfalls deutsche Verben, die reflexiv gebraucht werden, deren polnische Entsprechungen aber kein Reflexivpronomen zulassen (z. B. sich räuspern ,chrząknąć’ oder sich erholen ,odpoczywać’). Letztendlich sieht es jedoch umgekehrt aus: Den deutschen Verben, die niemals reflexiv zu gebrauchen sind, werden polnische Verben gegenübergestellt, die stets ein Reflexivpronomen bei sich haben müssen (z. B. lernen ,uczyć się‘ oder heißen ,nazywać się’).

Die Grundzüge der reflexiven und reziproken ­Relation in der Theorie von Gerhard Helbig und ­Joachim Buscha

Meine Forschungsmethodik basiert auf zwei Diagrammen, die ich selbst zeichnete. Hier ist das erste Diagramm zu sehen, das uns reflexive Verben im weiteren Sinne (nach der Auffassung von Helbig und Buscha) näherbringt:

Abbildung 1: Aufbau der Gruppe reflexiver Verben bei Helbig / Buscha [eigene Abbildung].

In dem Diagramm lässt sich eine Unterteilung in reflexive Verben im engeren Sinne und reflexive Konstruktionen bemerken. Zu den Ersteren werden Verben gerechnet, welche immer das Reflexivpronomen bei sich haben müssen (z. B. sich bedanken oder sich erkälten). Von Bedeutung ist ebenfalls, dass dieses Reflexivpronomen nicht durch ein vollsemantisches Wort mit Objektcharakter ersetzt werden kann. Da haben wir die reflexiven Konstruktionen: Das sind im Großen und Ganzen die Verben, die sowohl mit dem Reflexivpronomen als auch mit einem Akkusativ- bzw. Dativobjekt vorkommen können (z. B. kämmen oder schaden).

Im Rahmen reflexiver Verben im engeren Sinne spricht man ebenfalls von den sog. ‚Reflexiva tantum‘. Damit sind Verben gemeint, welche ausschließlich mit dem Reflexivpronomen auftreten (z. B. sich begnügen oder sich verbitten). Parallel zu den Reflexiva tantum existieren auch reflexive Verbvarianten, also Verben, die normalerweise mit dem Reflexivpronomen vorkommen, aber auch nicht-reflexive Bedeutungsvarianten aufweisen (z. B. sich auf jemanden verlassen vs. jemanden verlassen). Interessant sind ebenfalls solche reflexiven Verbvarianten, bei denen das Reflexivpronomen fakultativ ist. Das wirkt sich aber auf die Perfektbildung des jeweiligen Verbs aus, was sich am Beispiel von festfahren beobachten lässt (Der Wagen hat sich im Schnee festgefahren und Der Wagen ist im Schnee festgefahren).

Analog sieht die Einteilung reziproker Verben (im weiteren Sinne) aus:

Abbildung 2: Aufbau der Gruppe reziproker Verben bei Helbig / Buscha [eigene Abbildung].

Hier haben es die Lesenden mit einer ähnlichen Unterteilung zu tun: Jetzt unterscheidet man nämlich zwischen reziproken Verben im engeren Sinne und reziproken Konstruktionen. Die Ersteren zeichnen sich dadurch aus, dass sie schon in ihrer Grundbedeutung reziprok sind (z. B. sich anfreunden). Daneben befinden sich reziproke Konstruktionen, die im Plural homonym sind: Abhängig vom Kontext kann es sich um ein reflexives Verhältnis handeln oder um ein reziprokes, bei dem ein wechselseitiger Bezug gezeigt wird (z. B. sich kämmen). Analog wie bei den reflexiven Verben gibt es auch hier eine Unterkategorie, die als ‚Reziproka tantum‘ bezeichnet wird. Das sind Verben, die ausschließlich mit dem Reflexivpronomen vorkommen (z. B. sich überwerfen). Daneben sind die reziproken Verbvarianten zu sehen, die gewöhnlich mit dem Reflexivpronomen gebraucht werden können, aber auch nicht-reflexive Varianten zulassen (z. B. sich vertragen vs. etwas vertragen).

Eine ebenfalls interessante grammatische Erscheinung ist auf jeden Fall das sogenannte ‚Zustandsreflexiv‘. Es handelt sich dabei um Formen, die aus dem Hilfsverb sein und Partizip II zusammengesetzt sind und oft mit dem Zustandspassiv verwechselt werden. Eine gewisse Ähnlichkeit ist hier bemerkbar, weil solche Formen auch im Polnischen üblich sind (wie z. B. ich habe mich verspätet ‚ja spóźniłem się‘ = ich bin verspätet ‚ja jestem spóźniony‘).

Meine Aufmerksamkeit erweckte auch das Verb sich interessieren, das sich stets mit derselben Präposition für verbindet. Wird diese Verbkonstruktion jedoch umgeformt und in ein Zustandsreflexiv umgewandelt, fällt auf, dass jetzt die Präposition an gebraucht werden soll. Im Polnischen wird in den beiden Fällen derselbe Kasus verwendet (‚narzędnik‘) und keine Präposition findet hier Anwendung (ich habe mich für Hunde interessiert ,ja interesowałem się psami’ = ich bin an Hunden interessiert ,ja jestem zainteresowany psami’).

Die Fragen, mit denen ich mich befasste

  • Worin liegt die eigentliche Ursache der Lernschwierig­keiten beim Gebrauch des Reflexivpronomens?
  • Kann das Vorwissen über das Polnische eine Hilfe beim ­Erlernen der Gebrauchsregeln des Reflexivpronomens sein?
  • Kann man aus den unterlaufenen Fehlern die entsprechenden Schlüsse für die Zukunft ziehen?

Die Ergebnisse der von mir konzipierten und ­konstruierten Umfrage

An dieser Stelle analysiere ich die ausgewählten Ergebnisse der Umfrage, die ich selbst konzipierte und unter meinen Mitstudierenden durchführte.

Dabei handelt es sich um eine repräsentative Befragung, an der genau 20 Studierende des dritten Studienjahres, die die Fachkombination Germanistik und Englisch belegen, teilnahmen. Die Umfrage beinhaltete 25 Satzbeispiele, wobei jeweils eine Lücke ausgefüllt werden sollte. Jede Leerstelle war entweder mit der richtigen Form des Reflexivpronomens oder mit einem Strich zu vervollständigen. Ziel der unternommenen Befragung war es, das Allgemeinwissen der Studierenden über die korrekte Verwendung des Reflexivpronomens zu überprüfen und aufzuzeigen, in welchen Kontexten Fehler auftreten können. Die in dieser Umfrage vorhandenen Sätze kommen teilweise aus der ‚Deutschen Übungsgrammatik‘ von Gerhard Helbig und Joachim Buscha, wobei manche von ihnen aus meiner Feder stammen. Bei der Auswahl einiger Verbbeispiele bediente ich mich ebenfalls der ,Gramatyka funkcjonalna języka niemieckiego‘ von Jan Czochralski und der ,Zwięzła gramatyka języka niemieckiego‘, die von Wanda Dewitzowa und Barbara Płaczkowska (Dewitzowa / Płaczkowska 1996) verfasst wurde.

Zu dem Satz Seine Tochter klagte ___ ständig über zu viele Hausaufgaben wurde von 55 % der Befragten (11 von 20) die richtige Antwort erteilt, also blieb die Lücke leer. Eine Person hielt die falsche Form mir für richtig. Acht Befragte begingen denjenigen Fehler, der vorherzusehen war: Sie trugen hier sich ein. Das kann daran liegen, dass die polnische Entsprechung des Verbs klagen ‚skarżyć się‘ lautet: Da wird der Gebrauch des Reflexivpronomens verlangt. Die Befragten können diese Phrase auch mit sich beklagen verwechselt haben.

Das Beispiel Du hast dich an dem Kirschkern verschluckt wurde zu Recht mit der Form dich vervollständigt. Für diese Lösung entschied sich die Mehrheit der Umfrageteilnehmer (16 von 20). Kannte jemand von den Befragten die Phrase sich an etwas verschlucken nicht, so mag er / sie am Kontext (Kirschkern) erkannt haben, dass es sich dabei um die Situation handelt, in der etwas beim Schlucken (ungewollt) in die Luftröhre gelangt. Auch die polnische Übersetzung – (za)krztusić się, (za)dławić się – kann den Studierenden zur richtigen Lösung verholfen haben. Der Rest der Befragten ließ die Lücke leer, was nicht richtig war.

Der Satz Du hast ___ den Kirschkern verschluckt bereitete den Befragten keine größeren Schwierigkeiten. Er wurde erneut überwiegend (70 % der Studierenden) korrekt ergänzt, also mit einem Strich bzw. die Lücke wurde leer gelassen. In der Bedeutung, wo etwas durch Schlucken (gewollt) in den Magen gelangt, ist verschlucken nicht-reflexiv zu verwenden. Die polnische Entsprechung dieses Verbs (,połykać‘) verlangt ebenfalls kein Reflexivpronomen.

Das Satzbeispiel Sie vergingen sich an dieser wehrlosen Frau scheint manche Befragten in Verlegenheit gebracht zu haben: Genau die Hälfte der Umfrageteilnehmer vervollständigte den Satz richtig – mit dem Reflexivpronomen sich. Die Bedeutung des Verbs vergehen, an die in dem Satz angeknüpft wird, muss nicht allen Studierenden bekannt gewesen sein. In der reflexiven Form bedeutet es ‚jemandem Gewalt antun‘. Warum trug also die Hälfte der Befragten richtigerweise das Reflexivpronomen ein? Es ist schon möglich, dass manche hier intuitiv handelten, während die anderen die Bedeutung einfach in einem Wörterbuch nachschlugen. Die andere Hälfte (10 von 20) entschied sich aber für einen Strich, also für die nicht-reflexive Variante. Dabei lässt sich die Hypothese aufstellen, nach der die Studenten dieses Verb mit der Phrase an jemandem vorbeigehen verwechselt haben können.

Schlussfolgerungen

Einerseits könnten solche falschen Analogien dem Einfluss des Polnischen zugeschrieben werden. Durch den Gebrauch dieser Sprache beeinflusst, trifft der Sprachbenutzer oft die Entscheidung, dort das Reflexivpronomen zu gebrauchen, wo es im Deutschen auf keinen Fall stehen darf.

Einige Fehler werden auch deswegen begangen, weil die deutsche Sprache stets verlangt, das Reflexivpronomen an die jeweilige Person anzupassen, woran man sich als Deutschlerner immer erinnern muss. Im Polnischen wird das Reflexivpronomen się überhaupt nicht konjugiert, was auch irreführend sein kann, wenn man einen Satz auf Deutsch formuliert.

Viele Deutschlernende unterlassen es häufig, das Reflexivpronomen zu gebrauchen oder verwenden es unnötigerweise. Was irreleitend sein kann, ist sicherlich auch die frappierende Bedeutungsähnlichkeit mancher Verbpaare.

Das Wissen über die beim Ausfüllen der Umfrage unterlaufenen Fehler könnte vielen Deutschlernenden dabei helfen, künftigen Missverständnissen besser vorbeugen zu können. Jeder, der das Deutsche in einem anständigen Ausmaß beherrschen möchte, sollte sich also die sprachlichen Unterschiede zwischen dem deutschen und dem polnischen Gebrauch mancher Verben merken.

Immer wenn man Zweifel hegt und nicht genau weiß, ob das jeweilige Verb reflexiv oder nicht-reflexiv verwendet wird, sollte man sich eines zuverlässigen Wörterbuches bedienen, um das Wort nachzuschlagen. Das häufige Zurateziehen von Nachschlagewerken kann nämlich unser grammatisches Wissen verfeinern und zum dauerhafteren Erlernen neuer Verben beitragen.

Das aus solchen Fehlern erlangte Wissen kann auch bei der Gestaltung neuer, besser ausgestatteter Lehrbücher für Deutsch als Fremdsprache wesentlich helfen.

Primärliteratur

  • Helbig, Gerhard / Buscha, Joachim. 1987a. Deutsche Grammatik: ein Handbuch für den Ausländerunterricht. Leipzig: Verlag Enzyklopädie.
  • Helbig, Gerhard / Buscha, Joachim. 1987b. Deutsche Übungsgrammatik. Leipzig: Verlag Enzyklopädie.

Sekundärliteratur

  • Engel, Ulrich. 1996. Deutsche Grammatik. Heidelberg: Julius Groos Verlag.
  • Kunkel-Razum, Kathrin (u. a.). 2009. Duden: die Grammatik: unentbehrlich für richtiges Deutsch. Mannheim: Dudenverlag.
  • Czochralski, Jan. 1994. Gramatyka funkcjonalna języka niemieckiego. Warszawa: ­Wydawnictwo „Wiedza Powszechna”.
  • Weinrich, Harald. 1993. Textgrammatik der deutschen Sprache. Mannheim: Duden­verlag.
  • Dewitzowa, Wanda / Płaczkowska, Barbara. 1996. Zwięzła gramatyka języka niemieckiego. Warszawa: Wydawnictwo Naukowe PWN.

  • Szeląg, Aleksander. 2024. Zu den Problemen der Reflexivität aus der deutsch-polnischen Perspektive. In Franke, Sebastian; Klemm, Anna Luise; Krabi, Richard; Toth, Raphael; Zajac, Wojciech (Hgg.), Studieren und Promovieren in Krakau und Leipzig: Beiträge der Sommerschule 2023. 7–9. Leipzig (text­dynamiken 3).
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