Nichtverstehen kurzgefasst – Eine korpuslinguistische Untersuchung der Funktionen des Nichtverstehensmarkers hä in Interaktionen[^* Der vorliegende Beitrag ist ein Artikel zu der im Wintersemester 2021 / 22 verfassten Hausarbeit im Rahmen des Seminars „Formen der Verständnissicherung in Interaktion“ unter der Leitung von Dr. Robert Mroczynski.]
Was bedeutet eigentlich hä? Der vorliegende Artikel widmet sich einem Teil dieser in der linguistischen Forschung bisher noch nicht umfassend beantworteten Frage, indem er die Ergebnisse einer Analyse von 1233 hä-Tokens der Schreibweisen hä, häh und he im Forschungs- und Lehrkorpus für gesprochenes Deutsch (FOLK) zusammenfasst, die auf die Verwendung in Nichtverstehenskontexten untersucht wurden.[^1 Die Inhalte dieses Artikels beruhen auf einer im Rahmen des von Dr. Robert Mroczynski geleiteten Seminars „Formen der Verständnissicherung in Interaktion“ im Wintersemester 2021 / 22 verfassten Hausarbeit an der Universität Leipzig. Ich danke Herrn Dr. Mroczynski für seine Anregungen, die ebenso wie die Inhalte des Seminars in die Ausarbeitung eingeflossen sind. Dies betrifft vor allem den Aufbau der Arbeit, die Kriterien zur Beschreibung der Gesprächsbeispiele sowie seine Vorschläge zur Kategorisierung. Die in der Untersuchung verwendeten Daten stammen aus der am 25.07.2022 zuletzt aktualisierten Version des FOLK, welche in den Jahren 2003 bis 2021 aufgezeichnete 336 Stunden Audioaufnahmen enthält. Die 1233 Vorkommen (Schreibweisen: 998 x hä, 35 x häh und 200 x he) wurden mithilfe der Tokensuche gefunden. Von der Schreibweise he wurden nur die ersten 200 von 2707 Treffern analysiert, da die manuelle Selektion der Treffer nach Nichtverstehensmarkern sehr arbeitsaufwändig und in diesem Fall wenig lohnenswert ist. Die meisten Treffer für he sind Interjektionen, Vergewisserungssignale und Lachen. Nur bei 6 dieser 200 Treffer dient he tatsächlich der Anzeige von Nichtverstehen. Bei der Analyse der gesamten 2707 Treffer ist entsprechend mit etwa 81 Nichtverstehensmarkern zu rechnen.] Interessant ist dabei, wie Gesprächsteilnehmer[^2 Im Folgenden steht die maskuline Genusform stellvertretend für alle Geschlechtsidentitäten.] unterscheiden können, welche Funktion die implizite Nichtverstehensmanifestation hä in der jeweiligen Situation hat (vgl. Deppermann / Schmitt 2008: 240).
Hä kann vieles bedeuten: am Ende einer Frage, wird es manchmal als Vergewisserungssignal wie in des hoffen wa doch hä (IDS 1) oder als Reparatursignal, wie in aber is nur frei häh freundschaftsspiel oder (IDS 2) gebraucht. Im Rahmen der manuellen Selektion wurden diese und weitere Vorkommen der Partikel aussortiert, die nicht der Anzeige von Nichtverstehen dienen. Übrig blieben 597 von 1233 Treffern (566 x hä, 25 x häh, 6 x he), welche anschließend anhand folgender Kriterien kategorisiert wurden:
- Form des Ausdrucks,
- struktureller Kontext,
- prosodische Realisierung,
- Bezugsgegenstand,
- Art des epistemischen Ungleichgewichts,
- Kommunikationsform und
- Adressat.
Als Ergebnis der qualitativen Analyse der Partikel hä als Nichtverstehensmarker konnten insgesamt sechs interaktionale Funktionen festgestellt werden. Bei den letzten drei Funktionen ist die Zuordnung zur Nichtverstehensanzeige in der Interaktion nicht eindeutig, da entweder kein Nichtverstehen im eigentlichen Sinne vorliegt, wie beim Dissens (4), sie nicht eindeutig einer Interaktion zuzuordnen sind, wie das eigene Nichtverstehen (5), oder das Nichtverstehen nicht in der Interaktion stattfindet, zu der das betrachtete Datenmaterial vorliegt, wie beim Nichtverstehen in Erzählungen (6). All diese Funktionen haben gemeinsam, dass bei ihnen keine Fremdreparatur intendiert wird, da die hä-Äußernden vermuten, einen Wissensvorsprung zu haben. Da es sich jedoch um sehr interessante sowie frequente Verwendungen handelt und das Ziel der Untersuchung war, die sprachliche Realität möglichst genau und umfassend zu beschreiben, wurden die Kategorien dennoch aufgenommen. Inklusive dieser Grenzfälle wurden die folgenden Nichtverstehensarten als Wirkungsbereiche von hä identifiziert:
- Nichtverstehen durch eine Störung der Wahrnehmung,
- Nicht-Folgen-Können des Gesprächsverlaufs,
- Nichtverstehen durch fehlendes Wissen,
- Unverständnis oder Dissens gegenüber Handlungen, Äußerungen oder Verhalten,
- eigenes Nichtwissen oder Nichtverstehen und
- Nichtverstehen in Erzählungen.
Nichtverstehen durch eine Störung der Wahrnehmung
Im FOLK werden zwei Arten des Nichtverstehens durch Störungen des Wahrnehmungskanals mit hä angezeigt: akustisches Nichtverstehen und Nicht-Lesen-Können. Für die letztere Ausprägung sind nur drei Vorkommen zu verzeichnen, daher beschränkt sich dessen Beschreibung hier darauf, dass sich die Aufmerksamkeit der Gesprächsteilnehmenden vorübergehend auf einen unleserlichen Text richtet, über den kommuniziert wird. 133 der 136 Vorkommen sind dem akustischen Nichtverstehen zuzuordnen, welches von Margret Selting bereits 1987 beschrieben wurde (vgl. 132-134). Es tritt auf, wenn die akustische Qualität einer Äußerung sehr niedrig ist, der Gesprächspartner abgelenkt ist, oder externe Störgeräusche die akustische Wahrnehmung behindern, wodurch keine geeignete Verstehenshypothese gebildet werden kann (vgl. Myers 2014: 330; Selting 1987: 132; Bublitz 2009: 35-45). Hä wird daraufhin in den meisten Beispielen in einem eigenen Turn in zweiter Position mit kurzer, steigender Intonation realisiert und führt zum Abbruch des aktuellen Gesprächsthemas zugunsten einer fremdinitiierten Fremdreparatur (vgl. Bauer 2020: 378). Das Reparans besteht bei dieser Nichtverstehensart typischerweise in einer wortwörtlichen, deutlichen, entschleunigten sowie durch Pausen unterbrochenen Wiederholung des Reparandums (vgl. Selting 1987: 132; Bauer 2020: 378). Auf die gelungene Bildung einer Hypothese folgt die Verstehensanzeige des Gesprächspartners, welche häufig mithilfe eines Erkenntnisprozessmarkers wie Ach so! erfolgt (vgl. Imo 2009: 57, 63). Durch eine logische Anschlusshandlung wird die Schließung der Reparatursequenz besiegelt: die Gesprächsteilnehmer kehren zum vorherigen Thema zurück (vgl. Schäflein-Armbruster 1994: 502, Deppermann 2008: 231).
Nicht-Folgen-Können des Gesprächsverlaufs
Die elf Vorkommen dieser kleinen Kategorie entstammen fast ausschließlich informellen Spielinteraktionen, in welchen Regeln oder Tätigkeitsabläufe erklärt werden. Dabei besteht eine Wissensasymmetrie. Besonders häufig treten sie im FOLK in Aufnahmen mit dem Elizitierungsverfahren Maptask auf.[^3 Elizitierungsverfahren sind Verfahren zur Gewinnung von Sprachdaten mithilfe konstruierter Aufgaben, die die Gesprächsteilnehmer dazu anregen sollen, bestimmte sprachliche Strukturen zu produzieren (vgl. Kauschke 2012: 13). Maptask dient der Aufzeichnung von Spielinteraktionen. Zwei Spieler erhalten dazu jeweils eine Karte, auf der Objekte oder Personen dargestellt sind. Auf einer der Karten ist ein Weg eingezeichnet. Der Spieler mit dieser Karte, muss den Weg so beschreiben, dass der andere Gesprächsteilnehmer diesen auf seiner Karte einzeichnen kann. Dabei dürfen sich die Spieler ihre Karten nicht zeigen und sich nicht ansehen. Der beschreibende Partner hat im Gegensatz zum Hörer folglich einen enormen Wissensvorsprung. Dadurch kommt es gelegentlich vor, dass die zeichnende Person ihrem Gegenüber nicht folgen kann. Die kontinuierliche Verständnissicherung und -dokumentation ermöglicht die erfolgreiche Bewältigung der Aufgabe und wird daher intensiv betrieben.] Das Nichtverstehen besteht darin, dass die Menge und Äußerungsgeschwindigkeit der durch den Sprecher gegebenen neuen Informationen die Verarbeitungskapazitäten des Hörers übersteigen. Die Nichtverstehensanzeige mit hä erfolgt unmittelbar, wenn nötig auch mitten im Partnerturn, wenn der Hörer vermutet, dass der Erfolg des Gespräches ohne die ihm entgangenen Informationen nicht mehr gewährleistet ist. Durch eine hohe oder steigende Realisierung wird der Dringlichkeit der Reparatur Ausdruck verliehen. Entsprechende Reparaturen sind im Sinne einer gemeinsamen Verstehensarbeit oft interaktiv gestaltet (vgl. Bublitz 2001: 1330-1332, Bremer 1997). Die entgangenen Informationen werden in kleineren Abschnitten präsentiert, zu denen jeweils eine Verstehensbestätigung des Hörers eingefordert wird, bevor der nächste Teil folgt. Dieses Vorgehen sichert das Verstehen und somit langfristig den Spielerfolg.
Nichtverstehen durch fehlendes Wissen
Mit 110 Treffern handelt es sich beim Nichtverstehen durch fehlendes Wissen um die drittgrößte Gruppe von hä zur Anzeige von Nichtverstehen. Bublitz nennt bereits 2001 Wort-, Satz- und Äußerungsbedeutung als Wirkungsbereiche der Verstehensdokumentation (vgl. 1332-1335). Selting unterscheidet zwischen Problemen bei der Referenzherstellung und der Bedeutung (vgl. 1987: 234-239). Die Untersuchung des FOLK hat jedoch ergeben, dass die Bedeutung von Einzelwörtern eine eher marginale Rolle spielt. 89 der 110 Vorkommen sind dem Erfragen von Hintergrundinformationen zum besseren Verständnis zuzuordnen. Deppermann schreibt dazu, dass sich hä in zweiter Position auf den gesamten Turn bezieht (vgl. 2008: 241). Die meisten anderen Beispiele zeigen Probleme bei der Referenzherstellung in der aktuellen Gesprächssituation, hier mit ‚Sinn‘ bezeichnet, wohingegen der Begriff ‚Bedeutung‘ als überzeitlich konstant verstanden wird (vgl. Bublitz 2009: 39).
Die Äußerung von hä geht in dieser Funktion mit der Anzeige eines eigenen Wissensdefizites und der Erwartung, dass der Gesprächspartner in der Lage ist, dieses zu beheben, einher. In vielen der Beispiele dieser Kategorie werden zuerst Reparaturversuche für andere Nichtverstehensarten eingeleitet, bis der Gesprächspartner im Ausschlussverfahren erkennt, dass das Nichtverstehen durch fehlendes Wissen ausgelöst wird. Möglicherweise ist dieses Reparaturverhalten darauf zurückzuführen, dass der Sprecher seine Aussage bereits dem vermuteten Vorwissen des Hörers entsprechend gestaltet (recipient design) und ein Wissensdefizit daher als unwahrscheinlich ansieht (vgl. Deppermann 2013: 3).
Unverständnis oder Dissens gegenüber Handlungen, Äußerungen oder Verhalten
Mit 40,7 Prozent aller Treffer von hä als Nichtverstehensmarker ist hä als Reaktion auf Äußerungen oder Handlungen, deren Grund der Rezipient nicht versteht oder die er ablehnt die am häufigsten beobachtete Funktion. Selting beschreibt diese Kategorie als Widerspruch zu einer Erwartung (vgl. 1987: 139). Die unverständliche Handlung kann entweder Teil der aktuellen Gesprächssituation sein oder außerhalb dieser liegen. Hä wird geäußert, wenn der Sprecher eine Handlung oder Äußerung anders oder nicht getätigt hätte. Dadurch wird dieser ihre wahrscheinliche Korrektheit abgesprochen. Unverständnis für Handlungen und Dissens bilden Pole eines Spektrums, auf dem die verschiedenen Beispiele entsprechend des Wissenslevels des Äußernden angeordnet werden können. Während beim Unverständnis auch die Möglichkeit eines eigenen Wissensdefizites in Betracht gezogen wird und eine Fremdkorrektur erfolgen kann, ist der Sprecher sich beim Dissens sicher, einen Wissensvorsprung zu haben, was oft zur Revidierung der vom Gesprächspartner zuvor getätigten Äußerung führt. Da in diesem Fall oberflächlich ein Verständnisdefizit angezeigt wird, während der andere Gesprächsteilnehmer implizit zur Selbstreparatur aufgefordert wird, kann der Dissensanzeige mit hä eine gesichtswahrende Funktion zugeschrieben werden. Es handelt sich also um eine höfliche Form des Widerspruchs, welche es ermöglicht, das Selbstkonzept des anderen Gesprächsteilnehmers nicht direkt anzugreifen und somit die Chancen auf eine Weiterführung des Gespräches ohne Schaden an der Beziehung der Teilnehmer zu erhöhen (vgl. Bauer 2020: 413f.; Deppermann 2008: 252). Bei der Anzeige von Dissens kann davon ausgegangen werden, dass kein Verstehensproblem besteht, da die Bewertung einer Handlung oder Aussage des Gegenübers als falsch voraussetzt, dass diese mit den zu ihr führenden Beweggründen verstanden wurden. Es handelt sich also eher um eine Wertung des zuvor Gesagten, die Erstaunen oder Ablehnung ausdrückt. Da die inneren Vorgänge der Sprecher in den Gesprächsdaten nicht ersichtlich sind, ist die Verortung auf dem beschriebenen Spektrum jedoch oft nicht möglich, daher wurde entschieden, alle Vorkommen zu zählen. Anhand des Bezugsgegenstandes der Nichtverstehensanzeige kann diese Kategorie weiter in:
- Nichtverstehen von Handlungen oder Verhalten eines Gesprächsteilnehmers,
- Nichtverstehen des Grundes einer Äußerung und
- kollektives Nichtverstehen
unterteilt werden.
Beim Nichtverstehen des Grundes einer Äußerung eines Gesprächsteilnehmers (b) werden als allgemein bekannt angenommene Wissensbestände vernachlässigt, oder die Grice‘schen Konversationsmaximen Quantität, Qualität, Relevanz und Stil verletzt (vgl. Grice 1975: 45f.).
Die Teilkategorie c) kollektives Nichtverstehen bezieht sich auf Handlungen, Verhalten oder Äußerungen einer Person, die dem Gespräch nicht beiwohnt, sondern über die retrospektiv gesprochen wird. Meist bewertet der Sprecher ein bestimmtes Verhalten einer dritten Person als unverständlich, woraufhin die Hörer mit hä anzeigen, dass sie die beschriebene Handlung ebenfalls als rational nicht verständlich klassifizieren. Sie wird damit abgewertet, wobei dem Äußernden gleichzeitig zugesprochen wird, im Recht und rational überlegen zu sein. Günthner bezeichnet diese Form von Erzählungen, in denen die Rezipienten zur Beteiligung an der Entrüstung über das Verhalten einer nicht anwesenden Person angeregt werden, als „Beschwerdegeschichten“ (Günthner 2000: 203; vgl. Günthner 2000: 203, 223f.). Die Partikel hä kann nach Günthners Terminologie den „Entrüstungsausrufe[n]“ (2000: 249) zugeordnet werden. Sie kann in diesem Kontext die Funktion eines Hörersignals ausüben. In diesem Fall wird das Rederecht nicht an den hä-Äußernden übergeben (vgl. Gülich / Mondada 2008: 5f.). In einigen Beispielen führt sie jedoch zum Sprecherwechsel und ermöglicht, wie ein Diskursmarker, die Einleitung längerer Redebeiträge, auf welche der Gesprächspartner reagiert (vgl. Gohl / Günthner 1999: 57). Auf hä folgende Kommentare oder Fragen zum Erzählten werden möglicherweise als relevanter betrachtet, da formell Nichtverstehen angezeigt wurde.
Einige Gesprächsbeispiele in dieser Kategorie stammen nicht aus Beschwerdegeschichten, sondern aus Erzählungen von einem selbst erlebten unerwarteten Ereignis oder einem Zufall. Der Hörer zeigt mit der Partikel an, dass er sich in die Situation des Erzählenden hineinversetzen kann, beziehungsweise diese besonders positiv oder überraschend findet. Es wird ein Gemeinschaftsgefühl, ein kollektives Nichtverstehen erzeugt. Ein Beispiel dafür ist hä witzig (IDS 3).
Eigenes Nichtwissen oder Nichtverstehen
In dieser Gruppe, die lediglich 2,6 Prozent der Treffer ausmacht, wird mit hä ein innerer Vorgang des Nichtverstehens eigener Handlungen, einer Situation, in der man sich befindet, beziehungsweise das Nichtverstehen durch fehlendes Wissen oder Probleme beim Erinnern markiert. In fünf der 16 Fälle bezieht es sich auf eine lokale Angabe.
Das Selbstgespräch bildet den Schnittpunkt zwischen Sprache und Denken. Es wird ein innerer Vorgang verbalisiert, ohne dass eine Antwort des Gesprächspartners erwartet wird, die in der Regel auch nicht erfolgt. Das zeigt, dass es sich auf den ersten Blick nicht um ein interaktionales Phänomen handelt.[^4 In der Literaturwissenschaft gibt es Ansätze, die das Selbstgespräch als Dialog im Inneren mit verschiedenen Teilen der eigenen Identität betrachten (vgl. Orth 2000: 2). Orth bezeichnet es entsprechend als „dialogisierten Monolog“ (Orth 2000: 173). Die linguistische Forschung im deutschsprachigen Raum schließt Selbstgespräche aufgrund der nicht als reliabel angesehenen Fixierungsmöglichkeiten gedanklicher Gespräche als Untersuchungsgegenstand aus, erkennt jedoch deren Dialogcharakter an (vgl. Orth 2000: 14-15). Zu verbalisierten Selbstgesprächen konnte keine geeignete linguistische Forschungsliteratur gefunden werden.] Da hä zur Anzeige des eigenen Nichtwissens vor allem in informellen Kontexten vorkommt, kann vermutet werden, dass es der Erklärung einer für den anderen eventuell unverständlichen Handlung dient, oder der Sprecher das Bedürfnis hat, seine Gedanken mit der vertrauten Person zu teilen. Im Turn projiziert hä als Diskursmarker meist auf eine präzisierende Frage. Nach etwas Reflexionszeit wird auch die Erkenntnis laut geäußert. Die meisten Treffer dieser Gruppe sind gedehnt und steigend bei hohem Stimmeinsatz, einige auch gehaucht oder kurz realisiert.
Nichtverstehen in Erzählungen
13,57 Prozent der Vorkommen von hä als Nichtverstehensmarker entfallen auf die Partikel hä in Erzählungen, in denen sie die Beschreibung eines vergangenen Nichtverstehens, Unverständnisses oder Nichtwissens ersetzt. Da das Nichtverstehen auf einer Metaebene – in der erzählten Welt – erfolgt, wird in der aktuellen Interaktion keine Reparatur initiiert. Helga Kotthoff betont jedoch die Interaktionalität von Erzählungen, die unter anderem durch recipient design und die gemeinsame Entwicklung der Geschichte mit den Zuhörern gekennzeichnet ist (vgl. 2020:415f.).
Das Nichtverstehen in Erzählungen kann sowohl beim Sprecher selbst als auch bei einer Person, über die erzählt wird, vorgelegen haben. Daher können 1) selbstreferenzielle und 2) fremdbezogene hä-Partikeln in Narrationen unterschieden werden. Anhand des Verbs kann zwischen expliziter Redewiedergabe, z. B.: (dann) [hab ich gesagt] hä (IDS 4), oder implizitem Nichtverstehen, z. B.: [un ich dacht mir] hä (IDS 5), unterschieden werden. Ein besonderer Fall der expliziten Redewiedergabe ist das geschriebene hä, z. B.: ich schreib so °hh hä °hh [wer is das] (IDS 6), das im FOLK jedoch nur einmal vorkommt. Implizite Formulierungen erinnern an Selbstgespräche, in denen das hä nur gedacht wurde. Sie treten meist selbstbezogen auf, da ein Sprecher die Gedanken einer anderen Person nicht lesen kann. Explizite Formulierungen suggerieren, dass das Nichtverstehen in der Vergangenheit tatsächlich mit hä verbalisiert wurde, was anhand der Daten nicht überprüfbar ist. Es kann davon ausgegangen werden, dass hä wie ein fiktives direktes Zitat funktioniert. Falsches „Zitieren“ wird von den Hörern in dieser Verwendung in der Regel nicht hinterfragt oder sanktioniert. Von der Funktion als fiktives Zitat (1 und 2) ist die stellvertretende hä-Partikel (3) abzugrenzen. Bei dieser Funktion kann hä eine längere Beschreibung der Nichtverstehenssituation und der entsprechenden Reflexionen zur Problemlösung ersetzen. Somit ist hä deutlich sprachökonomischer als die Formulierung eines ganzen Satzes. In neun von vierzehn Fällen steht die Partikel als Stellvertreter in einer so hä-Konstruktion und ohne Verbum dicendi.[^5 Verba dicendi sind Verben, die die Art einer Äußerung konkretisieren oder ein Zitat einführen, z. B.: sagen, meinen, fragen und schreiben (vgl. Auer 2006: 297).] Folglich ist keine Zuordnung zu den anderen Kategorien möglich.
Die 79 Vorkommen von hä in Erzählungen verteilen sich wie folgt auf die Kategorien:
-
selbstreferenzielle
hä-Partikel in Erzählungen
-
explizite, selbstreferenzielle
hä-Partikel:
17 Vorkommen -
implizite, selbstreferenzielle
hä-Partikel:
31 Vorkommen
-
explizite, selbstreferenzielle
hä-Partikel:
-
explizite, fremdbezogene
hä-Partikel in Erzählungen:
17 Vorkommen -
stellvertretende
hä-Partikel:
14 Vorkommen
Anhand der Erklärungen des Sprechers kann in einigen Fällen rekonstruiert werden, welche der bereits beschriebenen Arten des Nichtverstehens erzählt wird. Besonders häufig bezieht sich hä in Erzählungen auf Unverständnis für Handlungen oder Äußerungen sowie auf Nichtverstehen durch fehlendes Wissen. Das liegt vermutlich daran, dass Sprecher solche tiefgreifenden Verstehensprobleme erzählenswerter finden als beispielsweise akustisches Nichtverstehen.
In 42 Prozent der Vorkommen in Erzählungen steht hä in der Konstruktion so hä. Besonders häufig tritt so gemeinsam mit expliziten, selbstreferenziellen hä-Partikeln (65 %) und hä-Partikeln mit Stellvertreterfunktion (64 %) auf. Peter Auer schreibt der Partikel so eine projizierende Funktion für nachfolgendes „verschobenes Sprechen“ (Auer 2006: 295) zu. Dieses entspricht der narrativen Redewiedergabe, welche in diesem Artikel als fiktives Zitat bezeichnet wird, hier jedoch auch die Wiedergabe gedanklicher Prozesse bezeichnet (vgl. Auer 2006: 298). Das fiktive Zitat kennzeichnet die Kategorien 1) und 2), nicht aber die Stellvertreterfunktion 3), welche im FOLK jedoch zu 64 Prozent so hä-Konstruktionen ausmachen. Interessant ist auch, dass so im von Auer verwendeten Korpus lediglich einmal in Verbindung mit einem Verbum dicendi vorkommt, wohingegen im FOLK neun so hä-Konstruktionen mit Verbum dicendi enthalten sind (vgl. Auer 2006: 297). Da Peter Auer Gesprächsdaten aus dem Jahr 2000 verwendet hat, kann vermutet werden, dass sich bis zum Jahr 2021, aus dem die aktuellsten Daten des hier verwendeten Korpus stammen, ein Sprachwandel hin zur häufigeren Kombination von so-Konstruktionen mit Verba dicendi vollzogen hat (vgl. Auer 2006: 296). Wie bei den 34 Vorkommen in der so hä-Konstruktion im FOLK ist die Partikel so in Auers Korpus unakzentuiert (vgl. Auer 2006: 295). So erfüllt in den Kategorien 1) und 2) die Rolle einer „Quotativ-Partikel“ (Auer 2006: 295), das heißt sie steht im Vorfeld eines direkten Zitates und wirkt relativierend auf dessen Wahrheitsgehalt. Mit so kann ausgedrückt werden, dass so etwas in der Art wie gedacht oder gesagt wurde. Oft stehen hä oder so hä auch anstelle eines ausführlicheren direkten Zitates – der Turn endet dann mit hä. In der Kategorie 3) könnte es sich auch um die von Auer beschriebene „emphatische so-Konstruktion“ (2006: 304) handeln, in der hä ähnlich einem Adjektiv (z. B.: unverständlich) funktioniert (vgl. Auer 2006: 311f.).
Fazit
Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass Hörer mithilfe prosodischer Merkmale, der Position und des Kontextwissens in den meisten Fällen situationsangemessen auf die hä-Partikel reagieren. Das impliziert, dass der Nichtverstehensmarker trotz seiner relativen Bedeutungsoffenheit und Kürze verständlich ist. Die hä-Partikel ist, entgegen ihrer Konnotation als ungebildeter Ausdruck, ein Beispiel für maximale Sprachökonomie und Effizienz.
Als problematisch am genutzten Untersuchungsdesign kann angesehen werden, dass die Kategorisierung vorrangig mithilfe semantischer und somit subjektiver Kriterien erfolgte. Syntaktische und phonologische Kriterien stützen die semantische Gruppierung jedoch größtenteils. Wenn die Einordnung in mehrere Kategorien möglich war, wurde sich für die spezifischere Kategorie entschieden. Beim kollektiven Nichtverstehen deutet die phonologische Realisierung auf die Bildung einer eigenständigen Kategorie hin, welche eine softwaregestützte phonetische Analyse notwendig machen würde. Die Gruppe Unverständnis gegenüber Handlungen ist sehr groß, da sie auf einer Skala zwischen Unverständnis und Dissens beruht, welche erst noch einer gesonderten Betrachtung bedarf. Die Nutzung einer weiten und einer engen Definition des Nichtverstehens über das Hauptkriterium der Reparaturinitiierung führt zum sehr hohen Anteil von 57 Prozent Grenzfällen, was dafürspricht, ein anderes Hauptkriterium festzulegen.