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Beitrag 12

Translatolo­gische Biografie und über­setzeri­sches Werk von Lisa Palmes (geb. 1975)[^* Der vorliegende Beitrag bietet einen Einblick in die 2023 abgegebene und verteidigte Masterarbeit.]

Olga Pruciak-Suska

Einleitung

Der vorliegende Beitrag beschäftigt sich mit dem Thema Übersetzung, genauer gesagt mit der Person der herausragenden Übersetzerin Lisa Palmes, ihrem Beruf und allen damit einhergehenden Aspekten. Lisa Palmes übersetzt polnische Literatur ins Deutsche. Von 2001 bis 2007 studierte sie Polonistik und Germanistik mit Schwerpunkt Linguistik an der Humboldt-Universität Berlin und der Universität Warschau (vgl. Unrast Berlin 2022). Im Jahr 2017 wurde Lisa Palmes mit dem Karl-Dedecius-Preis ausgezeichnet. Der vorliegende Beitrag präsentiert nur einen Teil ihrer Biografie; die Abschnitte des zugrundeliegenden Vortrags wurden gekürzt und modifiziert.

Das Modell von Renata Makarska

In meiner Arbeit, die ich im Sommer 2023 an der Jagiellonen-Universität abgeschlossen habe, habe ich vor allem das biografische Modell von Renata Makarska angewendet, um eine Biografie von Lisa Palmes zu erstellen (vgl. Makarska 2016). Bei der Suche nach biografischen Informationen habe ich hauptsächlich Online-Quellen verwendet, darunter natürlich die Website von Lisa Palmes (vgl. Palmes 2022). Das vorgeschlagene Modell von Makarska besteht aus den folgenden vier Segmenten: Sprachbiografie, Netzwerke, Übersetzungskritik und Kontext.

In Makarskas sprachbiografischem Modell sind die Aspekte der Muttersprache und der Arbeitssprache des:der Übersetzer:in am wichtigsten. Es können durchaus mehr als eine Muttersprache relevant sein, denn Übersetzer:innen können auch mehrsprachige Bewohner:innen von polykulturellen Räumen sein. Makarska verwendet das „Vier-Sprachen-Modell“ von Henri Gobard, um eine sprachliche Lebensgeschichte zu beschreiben. Dieses Modell unterscheidet zwischen vier Arten von Sprache: vernakular, vehikular, referential und mythisch. Die erste bezieht sich auf das Umfeld, in der das Individuum seine ersten Kindheitsjahre verbrachte. Es ist die Sprache, die man als Kind benutzt, gehört und gelernt hat. Die zweite bezieht sich auf die Bewegung des:der Übersetzer:in, z. B. zu Ausbildungszwecken. Die referentiale Sprache ist mit dem kulturellen Hintergrund des:der Übersetzer:in verbunden. Die vierte, mythische Sprache leitet sich von Glauben und Religion ab. Innerhalb der Kriterien, die sich auf die Sprachbiografie beziehen, berücksichtigt Makarska auch das Konzept der Topobiografie, bzw. der Geobiografie (vgl. Makarska 2016: 217). Sie beschreibt weiterhin eine Bewegung des:der Übersetzer:in in anderen Ländern, die Überschreitung territorialer Grenzen und den inneren Persönlichkeitswandel (vgl. Makarska 2016: 217).

Das Netzwerke-Kriterium beschreibt Aspekte, die im Zusammenhang mit dem Beruf des:der Übersetzer:in stehen. Der:die moderne Übersetzer:in ist in seinem:ihrem Beruf nicht allein, sondern arbeitet mit vielen Institutionen und Personen zusammen. Dieses Kriterium bezieht sich insbesondere auf die Zusammenarbeit mit Verlagen, ­Literaturjournalist:innen, Zeitschriften und natürlich mit Buchautor:innen. Darüber hinaus hat der:die Übersetzer:in auch Erfahrungen mit der kulturellen Welt und mit Wissenschaftler:innen. Die heutigen Übersetzer:innen gehen darüber hinaus auch häufig „bürgerlichen“ Berufen nach, d. h. sie können selbst als Verleger:innen, Hochschullehrer:innen oder Schriftsteller:innen tätig sein (vgl. Makarska 2016: 218). Dieses Kriterium umfasst nicht nur berufliche Kontakte, sondern auch Bekanntschaften und Freundeskreise (vgl. Makarska 2016: 220). Diese oben beschriebenen Netze erleichtern und ermöglichen die Arbeit des:der Übersetzer:in. Das Übersetzungskritik-Segment ist bei der Erstellung von Lebensgeschichten sehr wichtig. Es erläutert auch den Rezeptionsbereich der Übersetzung und beschreibt den Einfluss des übersetzten Werks auf eigenständige Literaturproduktion, d. h. eine innovative Rolle in einem neuen Polysystem (vgl. Makarska 2016: 218). Das letzte Kriterium ist der Kontext und bezieht sich auf das eigene literarische Werk des:der Übersetzer:in und auf seinen:ihren „bürgerlichen“ Beruf (vgl. Eberharter 2020: 107). Es geht insbesondere um andere berufliche Tätigkeiten des:der Übersetzer:in, die auch seine:ihre Übersetzungstätigkeit beeinflussen. Als Beispiele für diese „bürgerlichen“ Berufsgruppen führt Renata Makarska an: Journalist:innen, Autor:innen, Lehrer:innen, Verleger:innen und Wissenschaftler:innen (vgl. Makarska 2016: 218).

Sprach- und Topobiografie der Übersetzerin

Lisa Palmes wurde 1975 geboren. Sie ist in einer deutschen Familie aufgewachsen, ihre vernakulare Sprache ist also Deutsch. In den Jahren 1995 bis 1996 studierte Lisa Palmes Philosophie, Soziologie und Politikwissenschaft in Wien (vgl. Nakanapie 2022). Sie stellte jedoch fest, dass eine akademische Laufbahn nicht ihr Weg war, weil sie die Universität als zu realitätsfern wahrgenommen hat. Die Mitstudent:innen waren älter, über 30, und Lisa Palmes hatte Angst, dass sie nach 10 oder 15 Jahren immer noch am selben Ort sein würde. Sie beschloss, etwas Praktischeres zu machen und entschied sich für eine Ausbildung zur Friseurin. Die Ausbildung im Friseurhandwerk sowie die darauffolgende berufliche Tätigkeit erstreckten sich von 1996 bis 2001 (vgl. Frei 2020). Auf diese Weise lernte sie ihre Arbeitskollegin kennen, eine Polin aus Kattowitz. Dank ihr reiste Lisa Palmes nach Polen, nach Kattowitz (vgl. Benning 2021). Dieses Ereignis hat sich auf ihren weiteren Lebensweg ausgewirkt. So begann ihre Leidenschaft für die polnische Sprache, Polnisch ist für Lisa Palmes zu einer Art Faszination geworden. Im Alter von 25 Jahren begann sie, Polnisch zu lernen (vgl. Benning 2021). Von 2001 bis 2007 studierte sie Polonistik und Germanistik mit Schwerpunkt Linguistik an der Humboldt-Universität Berlin und der Universität Warschau (vgl. Unrast Berlin 2022). Polnisch ist für Lisa Palmes sowohl eine Berufssprache als auch eine Leidenschaft. Polnisch erfüllt somit die Kriterien einer vehikularen und referentalen Sprache.

Netzwerke

Im Rahmen der Netzwerke von Lisa Palmes ist die Buchhandlung „Buchbund“ zu erwähnen. Dies ist die einzige polnisch-deutsche Buchhandlung in Berlin. Die Buchhandlung ist auch ein Treffpunkt für diejenigen, die aus Polen kommen oder sich für Polen und die polnische Sprache interessieren. Sie gilt als „der intellektuelle Treffpunkt des polnischen Berlins“ (Buchbund 2022a). Der Inhaber der Buchhandlung ist Marcin Piekoszewski, der zusammen mit Lisa Palmes zahlreiche Veranstaltungen zur polnischen Literatur organisiert. Nachfolgend werden einige der wichtigsten Veranstaltungen, die Lisa Palmes mit dem deutsch-polnischen Buchladen „Buchbund“ in Berlin mitorganisiert hat, genannt und beschrieben.

Im Jahr 2013 fand unter dem Titel „Reportagen ohne Grenzen“ eine Reihe von Treffen mit bekannten polnischen Reportern:innen statt. In zehn Gesprächen, die von Februar bis Dezember stattfanden, stellten Autor:innen ihre Werke vor und lasen ins Deutsche übersetzte Auszüge daraus vor (Buchbund 2022b). Die verschiedenen Reportagen beschrieben aktuelle gesellschaftspolitische Ereignisse aus Polen und der ganzen Welt, worauf der Name der Veranstaltung „Reportagen ohne Grenzen“ anspielt. Eine weitere Veranstaltungsreihe fand im Jahr 2014 von April bis November statt. Dies war eine Serie von Treffen und Gesprächen mit sechs polnischen Biograf:innen (vgl. Buchbund 2022c). Thematisiert wurden die Personen in den Biografien, die Autor:innen sowie die Gattung selbst. Aus den oben genannten Initiativen und anderen Veranstaltungen – natürlich fanden noch weitere Treffen und Veranstaltungen dieser Art statt – und der Zusammenarbeit von Lisa Palmes mit der Buchhandlung „Buchbund“ lassen sich folgende Schlussfolgerungen ziehen. Durch ihre Zusammenarbeit mit einer polnisch-deutschen Buchhandlung hat Lisa Palmes ein großes Netzwerk an Bekanntschaften mit Autor:innen und anderen Übersetzer:innen aufgebaut. Nicht zu vergessen ist das riesige Netz von Kontakten zu Verleger:innen. Bei solchen kulturellen Veranstaltungen hatte Lisa Palmes natürlich auch die Gelegenheit, Leser:innen zu treffen. Als Mitorganisatorin und Initiatorin der oben genannten Projekte hat Lisa Palmes einen Beitrag zur Förderung der polnischen Literatur und Geschichte in Berlin und Deutschland geleistet. Dank ihrer Aktivitäten zur Verbreitung der polnischen Kultur und Literatur wird Lisa Palmes auch als „Kulturvermittlerin und Organisatorin von Gesprächsreihen mitpolnischen SchriftstellerInnen“ bezeichnet (Unrast Berlin 2022). Neben der Zusammenarbeit mit der Buchhandlung „Buchbund“ hat Lisa Palmes auch mit anderen Institutionen und Organisationen wie z. B. dem „Buchinstitut“ (poln. Instytut Książki) in Krakau zusammengearbeitet (vgl. Instytut Książki 2022). Lisa Palmes nimmt auch an übersetzungsbezogenen Konferenzen teil. Exemplarisch sei hier eine virtuelle Übersetzungskonferenz erwähnt, die der Nobelpreisträgerin Olga Tokarczuk und deren Übersetzer:innen gewidmet war. Die Konferenz fand am 25.09.2020 in New York statt und wurde von PEN America veranstaltet (vgl. PEN America 2022). Zehn Übersetzer:innen von Büchern der polnischen Nobelpreisträgerin aus neun Ländern nahmen daran teil (vgl. Dobrowolski 2020). ­Abschließend ist anzumerken, dass sich Lisa Palmes durch die Teilnahme an der Konferenz ein breites Netzwerk von Kontakten zu Übersetzer:innen nicht nur für die deutsche Sprache aufgebaut hat. Ein weiteres Ereignis von besonderer Bedeutung ist der Weltkongress der Übersetzer:innen polnischer Literatur (poln. Światowy Kongres Tłumaczy Literatury Polskiej) (vgl. Kongres Tłumaczy 2022a). Diese Veranstaltung wird alle vier Jahre in Krakau organisiert. Es werden Übersetzer:innen aus verschiedenen Ländern eingeladen. Das Ziel des Kongresses ist die Stärkung und Integration der Gemeinschaften von Übersetzer:innen der polnischen Literatur. Die fünfte Veranstaltung fand vom 2.–4.06.2022 in Krakau statt. Die Übersetzerin Lisa Palmes war eingeladen, nahm an der Paneldiskussion teil und erörterte die effektive Veröffentlichung und Förderung von Büchern. Der Titel des Panels lautete: „Warsztat tłumacza: Jak skutecznie szukać wydawcy i jak dobrze promować książkę już wydaną?” (dt. „Workshop für Übersetzer: Wie sucht man effektiv nach einem Verlag und wie kann man ein bereits veröffentlichtes Buch gut vermarkten?”) (vgl. Kongres Tłumaczy 2022b). Lisa Palmes betonte in der Diskussion, dass es bei der Förderung der Bücher auf dem Markt sehr wichtig ist, Leser:innen und Verleger:innen mit dem:der Autor:in bekannt zu machen.

Die kulturellen Veranstaltungen, an denen Lisa Palmes teilnimmt, zeugen von ihrem großen Engagement für das kulturelle Leben. Auch die Tatsache, dass sie häufig als Rednerin eingeladen wird, zeugt von ihrer Beliebtheit. Es ist auch Ausweis eines riesigen Netzwerks von Freundschaften mit Persönlichkeiten aus der Übersetzungsbranche.

Ein weiterer Aspekt ist die Erfahrung von Lisa Palmes in der Tandem-Übersetzung: Die Übersetzerin arbeitete mit Lothar Quinkenstein zusammen. Zwei Bücher wurden auf diese Weise von ihnen übersetzt: Ludwik Hirszfeld: Geschichte eines Lebens (poln. Historia jednego życia) und ein Buch der Nobelpreisträgerin Olga Tokarczuk Die Jakobsbücher (poln. Księgi Jakubowe) (vgl. Prüfer 2019).

Das übersetzerische Werk von Lisa Palmes

Bei der Erstellung einer Biografie ist es unerlässlich, die Übersetzungsleistung zu untersuchen. Angefangen bei Buchautor:innen übersetzt Lisa Palmes ganz unterschiedliche Personen – neben der Nobelpreisträgerin Olga Tokarczuk auch Journalist:innen, Wissenschaftler:innen, Schriftsteller:innen, Forscher:innen und sogar Mediziner:innen. Lisa Palmes hat auch Stammautor:innen wie Olga Tokarczuk, Joanna Bator, Wojciech Jagielski, Filip Springer, Mariusz Czubaj (vgl. Palmes 2022). Heterogen ist nicht nur der Kreis der Autor:innen, die Lisa Palmes übersetzt, sondern auch die Themenwahl der übersetzten Werke. Lisa Palmes konzentriert sich nicht nur auf einen Bereich, im Gegenteil, die übersetzten Bücher thematisieren den Holocaust, Krieg, Literatur, Fußball, Medizin und sogar Architektur. Dies ist ein Beweis für ein umfassendes Wissen und einen weiten Horizont der Übersetzerin. Viele Bücher erfordern auch Fachwortschatz und eine spezielle Sprache, die Lisa Palmes beherrscht. Ein weiterer Aspekt ist die Besonderheit der Gattungen. Lisa Palmes beschäftigt sich überwiegend mit Belletristik. Zur schönen Literatur gehören etwa die Romane der Nobelpreisträgerin Olga Tokarczuk oder die Romane von Joanna Bator und Kaja Malanowska. Es ist allerdings erwähnenswert, dass das übersetzerische Werk Lisa Palmes neben der Belletristik auch eine Vielzahl anderer Texte umfasst. Dazu gehören wissenschaftliche Sachtexte wie Reportagen, Biografien, Autobiografien, Essays oder Sammlungen von Artikeln.

Abschließend sind die Auszeichnungen und Preise zu erwähnen. Die Auszeichnungen sind ein fester Bestandteil des Porträts von Übersetzer:innen, da sie mit ihrer Arbeit verbunden sind. Preise und Nominierungen sind ein Beweis für die Wertschätzung von Übersetzer:innen und ihre Sichtbarkeit in der literarischen Welt. Lisa Palmes hat viele Preise erhalten, aber in diesem Beitrag wird nur einer von ihnen beschrieben – der Karl-Dedecius-Preis. Der Karl-Dedecius-Preis ist eine renommierte Auszeichnung für Literaturübersetzer:innen. Er wird seit 2003 alle zwei Jahre von dem Deutschen Polen-Institut und der Robert Bosch Stiftung an zwei Übersetzer:innen verliehen – je an eine:n deutsche:n Übersetzer:in polnischer Literatur und eine:n polnische:n Übersetzer:in deutschsprachiger Literatur. Sie werden für ihre hervorragenden Leistungen und ihr Engagement für die Vermittlung zwischen den Nachbarländern geehrt (vgl. Karl-Dedecius-Preis 2023). Im Jahr 2017 wurde Lisa Palmes gemeinsam mit Eliza Borg mit dem Karl-Dedecius-Preis ausgezeichnet (vgl. Europa-Universität 2022).

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Lisa Palmes eine zeitgemäße Übersetzerin ist. Lisa Palmes geht mit dem Zeitgeist, was sich nicht zuletzt darin zeigt, dass sie eine eigene Website hat, die ständig aktualisiert wird. Ihre Aktivitäten zeugen davon, dass der:die moderne Übersetzer:in eine Person ist, die über ein riesiges Netzwerk von Kontakten und Kooperationen verfügt und ein:e Verkäufer:in ist, der:die Verlage von der Veröffentlichung überzeugen will. Lisa Palmes nimmt aktiv an Konferenzen und kulturellen Veranstaltungen teil. Bewunderung verdient auch ihre Zusammenarbeit mit der Buchhandlung „BuchBund“. Es handelt sich um eine Tätigkeit, die zur Popularisierung der polnischen Literatur in Deutschland und zur Förderung polnischer Autor:innen auf dem deutschen Markt beiträgt und auch für die deutschen Leser:innen wichtig ist, die auf diesem Weg neue Genres, Bücher, Autor:innen und Kultur aus Polen kennenlernen können. Lisa Palmes ist auch offen für die Zusammenarbeit mit anderen Übersetzer:innen, was ihre erfolgreichen Tandem-Übersetzungen bestätigen.

Ganz zum Schluss sei noch erwähnt, dass die Arbeit an Porträts von ­Übersetzer:innen deren Sichtbarkeit und Anerkennung fördert.

  • Pruciak-Suska, Olga. 2024. Translatologische Biografie und übersetzerisches Werk von Lisa Palmes (geb. 1975). In Franke, Sebastian; Klemm, Anna Luise; Krabi, Richard; Toth, Raphael; Zajac, Wojciech (Hgg.), Studieren und Promovieren in Krakau und Leipzig: Beiträge der Sommerschule 2023. 7–9. Leipzig (text­dynamiken 3).
Aktuelles Projekt-Archiv Online-Journal Team