Einfluss der bilingualen Erziehung auf den deutsch-polnischen Spracherwerb Gesprächsanalytische Untersuchung des Codeswitchings[^* Der vorliegende Beitrag ist der Vorstellung der im Wintersemester 2023 / 24 fertiggestellten Bachelorarbeit gewidmet.]
Zielsetzung
Das Ziel meiner Abschlussarbeit ist die Untersuchung des bilingualen Spracherwerbs im deutsch-polnischen Grenzgebiet. Im Fokus der Untersuchung steht der Einfluss des familiären Umfelds und der sozialen Umgebung auf den doppelten Erstspracherwerb (2L1) der Kinder. Zuerst werde ich auf die theoretischen Aspekte des bilingualen Erstspracherwerbs eingehen und die Termini der Mutter-, Erst-, Zweit- und Fremdsprache definieren. Dabei wird das Prinzip der Sprachdominanz genauer erläutert und anhand ihrer positiven und negativen Wirkung auf die Sprachwahl und auf das Sprachverhalten in Situationen, „in denen eine Sprache bevorzugt verwendet wird“ (Müller 2016: 68) analysiert. Parallel werde ich auf das Phänomen des Codeswitchings bei kindlichen Sprecher:innen ausführlich eingehen. Im empirischen Teil wird die Ausführung meiner nicht-teilnehmenden Beobachtung beschrieben und das aufgenommene Sprachdatenmaterial transkribiert. Die Ergebnisse der Transkription werden gesprächsanalytisch untersucht, mit Fokussierung auf das Vorkommen des Codeswitchings in der Interaktion der Sprechenden.
Die Mehrsprachigkeit ist ein präsentes Thema in der heutigen, durch Globalisierung und Digitalisierung geprägten Gesellschaft. Kultureller und sprachlicher Austausch zwischen den Sprecher:innen weltweit ist in den letzten Jahrzehnten eminent gestiegen. Die Folge dieser beobachteten Erscheinung sind bikulturelle und bilinguale Beziehungen. Immer häufiger entscheiden sich Menschen dafür, ein gemeinsames Leben mit einem Partner oder einer Partnerin aus einem anderen nationalen und sprachlichen Kulturraum zu führen (vgl. Jańczak 2012: 119). Dies führt zur Gründung von gemischtsprachigen Familien, in denen die Verbreitung eigener Kulturen und Sprachen ein natürliches Phänomen darstellt und in denen sich die Partner:innen für bilinguale Erziehung ihres Nachkommens entschließen. Daraus ergeben sich die entscheidenden Fragen: Wie verhält sich das Phänomen des Spracherwerbs innerhalb der gemischtsprachigen Familien, wenn beide Elternteile mit dem Kind in ihrer bzw. in ihren Muttersprache(n) kommunizieren, und welche Sprache(n) sprechen bilingual aufwachsende Kinder, „wenn sie untereinander kommunizieren“ (Schneider 2012a: 140).
Forschungsbezug
Die Popularität der Mehrsprachigkeit ist seit dem 20. Jahrhundert in der soziolinguistischen, psycholinguistischen und neurolinguistischen Wissenschaft (vgl. Tracy 2014: 16) rasant gestiegen, was sich anhand von zahlreichen Studien zur Mehrsprachigkeitsforschung (Schneider 2012a, Schneider 2012b, Müller et al. 2007, Kielhöfer / Jonekeit 2006, Klein 1992, Tracy 1991) ableiten lässt. Es ist unbestritten, dass die Definition der Zwei- und Mehrsprachigkeit eine bestimmte Diskrepanz in der Forschung darstellt. Die Annahme, dass die Mehrsprachigkeit als Sonderfall gilt, wird von den Wissenschaftler:innen kategorisch abgelehnt. Weltweit betrachtet, wird Mehrsprachigkeit als eine Norm der menschlichen Kommunikation angesehen (vgl. Tracy 2014: 15). Chomsky (1993: 12) bezeichnet „menschliche Sprache [als] ein System von bemerkenswerter Komplexität“, welches als „Produkt menschlicher Intelligenz“ zu verstehen ist. Darüber hinaus behauptet er, dass bei Kindern der Prozess der Beherrschung eines komplexen Zeichenverbundsystems, einer Sprache, „auch ohne besonderen Unterricht gemeistert“ (ebd.) wird. Auf diese Annahme stützend, werde ich mich den Definitionen der Zwei- und Mehrsprachigkeit widmen in Bezug auf den doppelten Spracherwerb im Kindesalter. Es ist wichtig zu bemerken, dass beide Termini kongruent behandelt werden. Kielhöfer / Jonekeit (2006: 11) behaupten, dass es „keine feste Definition der Zweisprachigkeit“ gibt. Sie referieren die Annahme von Weinreich (1977: 15), dass die praktische Fähigkeit, „abwechselnd zwei Sprachen zu gebrauchen“ (1977: 15), als Zweisprachigkeit zu verstehen ist (vgl. Kielhöfer / Jonekeit 2006: 11). Dabei wird Bilingualismus, äquivalent zur Zweisprachigkeit, nach Lambeck (1984) als „Sprachvermögen eines Individuums, das aus dem natürlichen Erwerb [...] zweier Sprachen als Muttersprachen im Kleinkindalter resultiert“ (vgl. Müller et al. 2007: 16). Anhand dieser Behauptung werde ich mich mit dem Phänomen des natürlichen Erwerbs befassen, welches entsteht, wenn die Kinder „in ihrer natürlichen Umgebung“ (Kielhöfer / Jonekeit 2006: 14), beispielsweise durch ihre Bezugspersonen, auf zwei Sprachen gleichzeitig angewiesen sind. Natürlicher Spracherwerb ist analog dem simultanen Spracherwerb zu verstehen, da er im Gegensatz zum gesteuerten Spracherwerb nicht auf einer formellen, künstlich erzeugten Ebene erfolgt. Diese Annahme wird jedoch in der linguistischen Forschung als inakkurat und kritisch angesehen, da sie den Prozess des Lernens „unter formellen Bedingungen“ (Apeltauer 1997: 13) im negativen Licht darstellt. Zunächst werde ich die Hypothesen von mehrsprachiger Aneignung anhand von „drei Erklärungsversuche[n]“ (ebd.: 130) näher erläutern. Der rationalistischen bzw. nativistischen Theorie nach unterliegt der Spracherwerb biologisch bedingten Kriterien, die das Prinzip der angeborenen Sprachfähigkeit in den Mittelpunkt setzen. Der Ausgangspunkt der Theorie ist, dass Sprache ein „Merkmal der menschlichen Spezies ist“ (Chomsky 1993: 54). Dieser Erklärungsansatz wurde jedoch „durch empirische Untersuchungen in Frage gestellt“ (Apeltauer 1997: 130) und anhand dieser modifiziert. Im Bereich der Sprachpsychologie wird dagegen behauptet, dass der Erwerb von Fremdsprachen einer kognitiven Basis bedarf (vgl. ebd.: 131). Darauf basiert die Theorie des Empirismus. Die Beschleunigung des Lernprozesses durch „Bewusstmachung, Kontrolle, Automatisierung und Rekonstruierung“ (ebd.: 132) wird ins Zentrum dieser Theorie gesetzt. Zuletzt werden „sozialpsychologische Erklärungsversuche“ (ebd.) thematisiert, die sich mit „sprachliche[n], soziale[n] und affektive[n] Faktoren“ (ebd.) auseinandersetzen und das Verhältnis zwischen der lernenden Person und der gewünschten Sprache als Priorität hervorheben. In dem Fall wird die Umgebung der Lernenden als positiver, aber auch als negativer Einflussfaktor angesehen. Problematisch an der Stelle ist, dass der Komplexitätsgrad einer Sprache so hoch ist, dass es unmöglich wäre, sich nur auf die theoretischen Ansätze zu stützen, was die Gewährleistung eines erfolgreichen Spracherwerbs angeht. Im Anschluss beziehe ich mich auf einen Hinweis von Nitsch (2007: 48), dass „Lernen [...] [und] der Erwerb von Sprachen ein höchst individueller Prozess“ ist, was oft in der Lernphase einer Sprache in Vergessenheit geraten kann. Auf weitere Aspekte der Mehrsprachigkeit und des simultanen Spracherwerbs werde ich in meiner geplanten Arbeit detaillierter eingehen.
Ausgewählte Forschungsmethode
Die Planung und die Unterteilung meiner empirischen Arbeit lässt sich mittels „forschungsmethodologische[n] Dreischritt[s]“ (Settinieri 2014: 58) so darstellen: Um das bilinguale Sprachverhalten innerhalb der gemischtsprachigen Familie zu untersuchen, wird eine qualitative Erhebung des Sprachdatenmaterials anhand einer nicht-teilnehmenden Beobachtung durchgeführt. Der Untersuchungsort ist die Stadt Görlitz im polnisch-sächsischen Grenzgebiet. Aufgrund ihrer Lage und daraus resultierender Vielfalt an zweisprachigen Familien bildet sie eine ideale Forschungsgrundlage. Ein deutsch-polnisches Paar mit bilingual aufwachsenden Töchtern hat Interesse gezeigt, an meiner Forschung teilzunehmen. Die Muttersprache des Vaters ist Deutsch und die der Mutter Polnisch. Sie erziehen ihre Töchter von Geburt an bilingual, indem sie sich der Spracherziehungsmethode „Eine Person – Eine Sprache“ (Müller 2016: 11) bedienen. Diese Methode werde ich präziser in meiner eigentlichen Bachelorarbeit darstellen. Im Rahmen der nicht-teilnehmenden Beobachtung wird die Mutter der Probandinnen, die zu dem Zeitpunkt der Untersuchung im Alter von vier und sieben Jahren sind, ihre alltägliche Kommunikation aufnehmen. Die Entscheidung, dass die Mutter für die direkte Datenerhebung verantwortlich ist, basiert auf der Annahme, dass es in bestimmten Fällen während der „Erhebungssituation zu Verhaltensveränderung bei den beobachteten Personen“ (Brede 2014: 137) kommen könnte, wenn die Aufnehmenden außerhalb des unmittelbaren, sozialen Umfelds stammen. Die Mutter der Probandinnen wird vierzehn Tage lang die verbale Kommunikation zwischen ihren Töchtern aufnehmen und mir das gewonnene Sprachmaterial am Ende dieser Zeit zur Verfügung stellen. Im Mittelpunkt meiner Untersuchung stehen während der Kommunikation auftretende Sprachphänomene, mit Hervorhebung des Codeswitchings und der Dominanzgrad der deutschen und polnischen Sprache. Die Datenaufbereitung wird im Transkriptionstool FOLKER durchgeführt. Die Ergebnisse der Transkription werden gesprächsanalytisch untersucht. Die Auswertung des Datenmaterials wird nach der Bottom-up-Perspektive erfolgen, was bedeutet, dass die Fragestellung erst nach der Datenanalyse zustande kommt.
Mehrsprachigkeit und Textdynamik?
Die Textdynamik bezieht sich nicht nur auf geschriebene, sondern auch auf gesprochene Sprache. Es lässt sich nicht abstreiten, dass Sprache ein äußerst dynamisches Phänomen ist, insbesondere wenn die Sprecher:innen in der Lage sind, mehrere Sprachen gleichzeitig zu beherrschen. Die Dynamik in der Mehrsprachigkeit bezieht sich auf den kontinuierlichen, fließenden Wechsel zwischen den Sprachen, der von Sprecher:innen je nach Situation und Kommunikationsbedarf gesteuert wird. Dieser dynamische Wechsel zwischen den Sprachen, auch als Codeswitching bekannt, spiegelt die Anpassungsfähigkeit und Flexibilität von Sprechenden wider. Es ermöglicht die effektive Kommunikation und die Ausdrucksfähigkeit in verschiedenen sozialen und kulturellen Kontexten. Die Dynamik in der Mehrsprachigkeit illustriert die lebendige Entwicklung von sprachlichen Systemen der Sprecher:innen, die nicht statisch sind, sondern sich ständig an die Anforderungen der ein- oder mehrsprachigen Umgebung anpassen.