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Beitrag 11

Wandel der Impf­bereit­schaft Deutsch­spra­chiger anhand der Kommuni­kation in Onlineforen

Von Zuzanna Garczarek (Krakau), Lätizia Drescher (Leipzig), Gina Hendrischke (Leipzig) und Sarah Weinholdiv (Leipzig)

1. Einleitung

Nach einem Jahr seit Aufkommen des Coronavirus scheint der Impfstoff ein Lichtblick am Ende des Tunnels zu sein. Der deutsche Gesundheitsminister beschreibt die Wichtigkeit dessen für die vorherrschende Corona-Pandemie mit folgenden Worten: „Dieser Impfstoff ist der entscheidende Schlüssel, diese Pandemie zu besiegen. Es ist der Schlüssel dafür, dass wir unser Leben zurückbekommen können.” [1]. Wie hoch ist tatsächlich die Impfbereitschaft der deutschen Bevölkerung? Diese Fragestellung soll durch Einbezug von diskurspragmatischen Analysepunkten sowie einer invektiven Kommunikationsanalyse beantwortet werden. Dabei werden Gesprächsbeiträge aus Online-Foren herangezogen. Um einen zeitlichen Vergleich transparent zu machen, betrachten wir die Foreneinträge zu zwei Artikeln auf Zeit Online, welche am 25.12.2020 und am 21.05.2021 veröffentlicht wurden. Vor dem Hintergrund der Textdynamik wird untersucht, inwiefern sich die Impfbereitschaft der Deutschen gewandelt hat.

Die Analyse soll anhand folgender diskurspragmatischer Schwerpunkte erfolgen: Sektorenanalyse, Aussagenanalyse und Handlungsanalyse. Hierbei bildet die Sektorenanalyse den Ausgangspunkt für die weiterführende Aussagen- sowie Handlungsanalyse. Außerdem werden die Emotionen der Deutschen mithilfe der Frameanalyse anhand der invektiven Kommunikation in den Online-Diskussionen dargestellt. Zunächst werden die einzelnen Analysepunkte theoretisch vorgestellt, um diese im Anschluss praktisch auf ausgewählte Online-Kommentare anzuwenden. Für die erste Analyse wird Literatur von Pappert / Roth (2016) und Roth (2019) verwendet. Für die darauffolgende Analyse von Emotionen wird Literatur zu Emotionen von Ellerbrock u.a. (2017), Fillmore (1982), Fries (1996), Tokarski (2006) und framesemantische Ressourcen: FrameNet, German FrameNet und German Frame-Semantic Online Lexicon herangezogen. Im abschließenden Fazit werden die wichtigsten Ergebnisse zusammengetragen. Außerdem wird ein weiterführender Ausblick gegeben.

2. Interaktional-pragmatische Analyse

2.1 Diskurspragmatische Theorie nach Pappert/Roth

Die nachfolgenden Gliederungspunkte beziehen sich auf die diskurspragmatische Analyse, welche als Teilbereich der Diskurssemantik zuzuordnen ist. Diese Form der Analyse untersucht gesellschaftliches Wissen anhand realisierter Aussagen in konkreten Texten. Dieses Wissen ergibt sich aus Diskursen. Darunter versteht man:

die Auseinandersetzung mit einem Thema durch größere gesellschaftliche Gruppen [...], die sich in Texten unterschiedlicher Art niederschlägt, dabei nicht nur die Einstellungen der am Diskurs Beteiligten spiegelt, sondern zugleich handlungsleitend für den zukünftigen Umgang mit dem thematisierten Gegenstand ist.

(Gardt 2007: 30)

Demnach werden komplexe Systeme von kollektivem Wissen rekonstruiert. Zur Untersuchung dessen wird realisierte Sprache analysiert, unter anderem durch die Betrachtung zentraler Metaphern, Lexeme sowie Textformen und Phraseologismen. Diskurslinguistische Ausführungen zeigen, dass Aspekte gesellschaftlichen Wissens zu einem bestimmten Thema und deren kennzeichnenden Versprachlichungen in ausführlichen Verfahren dargelegt werden. Dabei werden unumgänglich nahezu alle kommunikativ-pragmatischen Bedingungen, unter denen die untersuchten Aussagen des Diskurswissens verwirklicht wurden, verallgemeinert. Die diskurspragmatische Analyse nach Roth (2019) beschreibt konkrete pragmatische Bedingungen, unter Beachtung der sprachlichen Umsetzung einer Aussage im Diskurs, die sogenannte Diskursrealisation. Dabei erfolgen diskurspragmatische Interpretationen von Aussagen auf Grundlage dieser pragmatischen Bedingungen. Demnach wird in einem festgelegten Korpus folgende Frage untersucht: Warum wird eine bestimmte Aussage in ihrer sprachlichen Form unter genau denjenigen pragmatischen Bedingungen verwirklicht? Damit beinhalten Diskurse des kollektiven Wissens Sprachhandlungen von Sprecher:innen unter konkreten Bedingungen, welche unter einer gewissen Zielsetzung in bestimmten Kontexten realisiert werden. Weiterhin werden derartige Diskurse von interaktionalen Konstruktionen gekennzeichnet, da Sprachhandlungen nicht isoliert voneinander erfolgen, sondern mit anderen Äußerungen zusammenhängen, auch wenn dies nicht immer konkret sichtbar ist (vgl. Roth 2019: 40–41).

2.2 Sektorenanalyse

Sektoren sind subthematische Aspekte von unterschiedlicher Komplexität und Relevanz, die den Diskurs insgesamt thematisch konstituieren. Jeder Diskurs setzt sich aus thematischen Teilaspekten zusammen, welche in der Interaktion berührt werden können. Die relevante Frage ist: „Worüber wird im Korpus gesprochen?“ Laut Roth kann ein Sektor deduktiv, induktiv, in evaluativer, abstrahierender, isolierter Form, oder mit absoluter, interaktiv hergestellter Akzeptanz eingeführt werden (vgl. Roth 2019: 377). Bei einer deduktiven Einführung eines Sektors wird zunächst ein Schlagwort eingeführt, welches dann kooperativ semantisch gefüllt werden muss. Wird ein Sektor induktiv eingeführt, werden erst semantische Operationen vorgestellt und danach wird er bezeichnet. Bei der absoluten / interaktiv hergestellten Akzeptanz wird die Relevanz und der diskurspragmatische Gehalt des Sektors von anderen Interaktanten mit Signalen der Verstehensdokumentation akzeptiert oder nicht. In evaluativer Form wird der Sektor in Verbindung mit expliziten oder impliziten Mitteln der Wertung eingeführt. Bei einer Einführung in abstrahierender Form wird Bezug auf eigenes Erleben und subjektiv erworbenes Wissen genommen (personalisierte Form). Ein isoliert eingeführter Sektor hat keinen semantischen Bezug auf den vorausgehenden sequentiellen Verlauf. Dies geschieht meist nach Gesprächspausen oder Themenwechseln (vgl. Roth 2019: 377).

Außerdem können Sektoren auf unterschiedliche Weise verknüpft werden. Durch Extension, Reduktion, Kombination und Shift können Sektoren miteinander verbunden werden (vgl. Roth 2019: 378). Bei einem Wechsel von einem Sektor auf einen thematisch allgemeineren, liegt eine Extension vor. Ein Wechsel auf einen thematisch spezifischeren Sektor hingegen nennt sich Reduktion. Bei einer Kombination gibt es zwar semantische Bezüge zwischen den Sektoren, aber sie sind einander weder unter- noch übergeordnet. Durch eine Verschiebung (Shift) wird der bisherige semantische Status geändert. Die Analyse solcher Verknüpfungen kann Aufschlüsse über die Verhältnisse verschiedener Sektoren innerhalb der Strukturen des Diskurswissens einer gegebenen Diskursgemeinschaft zueinander verschaffen (vgl. Roth 2019: 374–379). Im Folgenden soll analysiert werden, welche subthematischen Sektoren in den Kommentaren der beiden Artikel sichtbar werden. Begonnen wird dabei mit dem Artikel Zwei Drittel der Deutschen wollen sich gegen Corona impfen lassen vom 25. Dezember 2020 [7].

Ausgangspunkt ist folgende Aussage des Users „Klaunwelt2020_06“, der mit der Aussage einen ersten großen Beitrag zur Impfbereitschaft leistet.

Klaunwelt2020_06

25. Dezember 2020 um 08:31 Uhr

Angst, Besorgnis, Bedenken, Zurückhaltung - unterschiedliche Eskalationsstufen. Manchmal, wenn ich in den Medien von "Angst" lese, würde ich gerne die Frage sehen. Haben so viele Leute wirklich Angst - Schweißausbrüche, schlaflose Nächte, Tränen - oder fasst diese eine Aussage alle zusammen, die nicht uneingeschränkt "ja und jetzt" gesagt haben?

Bedenken, weil es ein neues Medikament ist, Besorgnis, eine allergische Reaktion zu haben, Zurückhaltung, bis die erste Million sicher geimpft wurde - alles verständlich. Aber Angst, echte Angst? Da würde ich doch gerne mal auch Gründe hören.

Mit dem Beitrag wird ein Sektor zur Angst vor den Impfungen eröffnet. Es sollen Gründe genannt werden, warum so viele Leute Angst vor der Corona-Impfung haben.

Ist die Angst gerechtfertigt? Eine erste unmittelbare Replik hierauf leistet der bereits gelöschte User „GelöschterNutzer11481“:

Gelöschter Nutzer 11481

25. Dezember 2020 um 08:37 Uhr

Ich habe keine Angst vor den Nebenwirkungen, ich habe lediglich Angst davor zu spät dranzukommen und dann nicht auf die aufgeschobenen Konzerte gehen zu können, wenn der Veranstalter einen Impfnachweis vordert.

Der User antwortet im Verknüpfungsmodus der Extension, dass er keine Angst vor den Nebenwirkungen der Impfung hat und eröffnet einen neuen subthematischen Sektor, indem es um Gründe für eine Impfung, im speziellen um die Angst vor einer zu späten Impfung geht.

Dadurch wird nicht weiter auf den Sektor Angst vor Nebenwirkungen der Impfung eingegangen. Die Hoffnung auf Normalität durch die Impfung wird deutlich. Eine verspätete Impfung bedeutet für ihn, dass er die Normalität nicht zurückerlangt und nicht auf Konzerte gehen kann. Darauf folgen geteilte Meinungen von Usern, welche sich impfen lassen, um mehr Freiheiten im alltäglichen Leben zurückzuerlangen und von Usern, welche sich impfen lassen, um sich und andere zu schützen. Es folgt eine Diskussion über die Motive / Absichten sich impfen zu lassen.

Czernowitzfrank

25. Dezember 2020 um 10:07 Uhr

Äh... mein Beitrag ist ist in keiner Weise ironisch. Wie kommen Sie darauf.

Ich kann verstehen, wenn jemand schnell geimpft werden will, weil er Angst hat an Covid zu erkranken oder sein Umfeld anzustecken. Aber wie es eine Angst sein kann, in 2021 ein aufgeschobenes Konzert zu verpassen, weil man nicht geimpft ist, erschließt sich mir in keinster Weise.

„Czernowitzfrank“ zeigt mit seinem Beitrag, dass er den Gehalt des eingeführten Sektors von seinem Interaktanten nicht akzeptiert, oder versteht. „s062012“ zeigt wiederum in Form von interaktiv hergestellter Akzeptanz Verständnis gegenüber „GelöschterNutzer11481“.

s062012

25. Dezember 2020 um 10:12 Uhr

warum sollte man sich sonst imofen lassen?? Für die Allgemeinheit etwa??? Die Allgemeinheit, die sich ansonsten nichts um all diejenigen schert, die am Rand der Gesellschaft stehen? Ich lasse mich genau aus 2 Gründen impfen. Ich will nicht krank werden und ich will mich nicht länger eindchränken als unbedingt notwendig. Von der Allgemeinheit bekomme ich nämlich genau NULL dafür zurück, dass ich mich seit Monaten einschränke und verzichte. Und sollte ich einen Schaden durch die Impfung erleiden wird das von der werten Allgemeinheit auch nicht kompensiert.

Darauf folgt ein Kommentar von „MarkusK_HH“, welcher mit einer Kombination zu einem neuen Sektor wechselt.

Es gibt einen kurzen Bezug zur vorherigen Diskussion über die Motive des Impfens. Es wird eine evaluierende Form der Bezugnahme deutlich.

In diesem neuen Sektor werden die verschiedenen Impfstoffe und deren Kapazität aufgegriffen. Er nimmt außerdem in abstrahierender Form Bezug auf subjektiv erworbenes Wissen, dass es ohne weitere Impfstoffe keine Durchimpfungen geben wird.

MarkusK_HH

25. Dezember 2020 um 09:29 Uhr

Eine Diskussion, die am Kern der Sache vollständig vorbei geht. Wir haben eine Situation, in der es nicht darum geht, wer sich gerne impfen möchte.

Wir werden etwa 7 Mio. Menschen in den nächten drei Monaten impfen, keine 8% der Bevölkerung. Geschweige denn Menschen, die kritische Infrastrukturen aufrecht erhalten.

Wir sollten aufhören, an den Weihnachtsmann zu glauben, zumindest für die nächsten 6-9 Monate.

Die verfügbaren Kapazitäten von BionTec sind weltweit verkauft, ohne mind. zwei weitere Zulassungen von Impfstoffen, wird es keine relevanten Durchimpfungen geben.

In dieser Interaktion wird von dem Sektor „Angst vor den Impfungen“ zu den „unterschiedlichen Gründen einer Impfung der beteiligten Personen“ gewechselt. Der Sektor wird thematisch erweitert. Danach wird der subthematische Sektor „Kapazität von Impfstoffen“ eingeführt.

Nun sollen einzelne Kommentare zu dem Artikel Impfbereitschaft laut Robert Koch-Institut sehr hoch vom 21. Mai. 2021 [6] analysiert werden. Nachdem inzwischen 5 Monate vergangen sind, in denen gegen Corona geimpft wurde, soll geschaut werden, welche subthematischen Sektoren hier im Mittelpunkt stehen. Auch hier ist der fehlende Impfstoff noch Thema in den Kommentaren. Der Sektor wird in abstrahierender Form mit Bezug auf eigenes Erleben und subjektives Wissen eingeführt. Es geht um die fehlenden Impftermine. „Cosmicus“ erzählt dabei von der Impfsituation in seinem eigenen Umfeld.

Cosmicus

21. Mai 2021 um 11:19 Uhr

Was nützt eine hohe Impfbereitschaft wenn der Impfstoff fehlt?

In meinem Umfeld gibt es jede Menge jüngere Menschen, die pflegebedürfte Eltern haben ....

Ich als Asthmatiker bekomme keine Termine, mein Hausarzt ist noch bei den 80jährigen unterwegs, weil die zugesagten Impfdosen nicht ankommen..... […]

Darauf leistet der User „Ronny Riddler“ unmittelbar Replik. Es wird damit ein nicht-thematischer Sektor bzw. ein metadiskursiver Sektor eingeführt. Auch Beiträge dieser Art tauchen in Kommentar-Foren auf und können von Wert für diskurspragmatische Erkenntnisinteressen sein. Dieser Beitrag könnte möglicherweise eine Rolle für die Konstruktion sozialer Identitäten spielen.

Darauf folgt ein Kommentar des Users „Charon“. Es wird sich auf die von „Ronny Riddler“ und „Cosmicus“ realisierten Aussagen bezogen. „Charon“ stimmt beiden zu und untermauert die Aussage mit dem Argument, dass 80-jährige Hilfe bei der Beschaffung eines Impftermins bräuchten. Durch Reduktion wird von diesem Sektor auf einen thematisch spezifischeren Bezug genommen. Denn sie führt ein weiteres Problem auf, das fehlende Absagen von Impfterminen.

Ronny Riddler

21. Mai 2021 um 14:18 Uhr

... mein Hausarzt ist noch bei den 80jährigen unterwegs, weil die zugesagten Impfdosen nicht ankommen.....

Hausarzt? 80 jährige? Also sorry das stinkt dermaßen...

Jeder 80 jährige hätte bereits seit Monaten ohne Probleme einen Termin haben können. Sie wollen hier wohl nur Dampf ablassen und mit falschen Angaben schlechte Laune verbreiten.

Charon-

21. Mai 2021 um 14:33 Uhr

"Jeder 80 jährige hätte bereits seit Monaten ohne Probleme einen Termin haben können"

Das stimmt, aber es gibt 80-jährige, die mit Internet und Telefonwarteschlange überfordert sind, und auch keine Personen haben, die ihnen dabei helfen. Die brauchen dann natürlich ihren Hausarzt.

Das viel größere Problem sind aber die 80-jährigen, die sich irgendwann im März bei ihren Hausärzten schonmal auf die Liste haben setzen lassen (manche auch bei drei oder vier Ärzten, nur um sicher zu sein), dann irgendwann einen Termin im Impfzentrum bekommen haben, und es dann nicht nötig hatten, ihren Ärzten bescheid zu sagen, dass sie keine Impfung mehr brauchen. Und dann versucht der Arzt tagelang, diese Person zu erreichen, weil er eine Impfung hat, und erfährt dann nach drei Tagen, dass das ja gar nicht mehr nötig ist. […]

Völlig isoliert und ohne semantischen Bezug auf den vorangegangenen Verlauf bringt der User „Alex72“ einen Kommentar ein. Durch einen Themenwechsel bringt er die Impfpriorisierung ein und bezieht sich dabei auf eigenes Erleben in seinem Bundesland. Es zeigt sich, dass bei ihm die Impfterminsuche einfacher und nur mit Geduld verbunden war. Damit wird im weiteren Verlauf das Thema Impfpriorisierung der einzelnen Bundesländer immer wieder aufgegriffen. Ein neuer thematischer Fokus entsteht.

Alex72

21. Mai 2021 um 11:32 Uhr

Tschüss, und noch viel Spaß im Forum, ich gehe jetzt zum Impfen.

Nachdem vor zwei Wochen die Prio 3 in BaWü freigegeben wurde, habe ich vorgestern den heutigen Termin zum Impfen bekommen.

Hat bloß viel Geduld gebraucht und nach gefühlten 1000 clicks auf der Homepage, hat es letztendlich geklappt.

Den zweiten Termin habe ich auch schon für Anfang Juli.

Achso, noch was, geimpft wird mit Moderna.

„Bogol“ leistet Replik darauf:

Bogol

21. Mai 2021 um 12:24 Uhr

Wem sagen Sie das. Ich bin Prio 3 ohne Chance auf Erstimpfungstermin. Und wenn in 2 Wochen die Priorisierung ganz aufgehoben wird, kann ich einen Termin erst recht vergessen.

Der User bezieht sich dabei auf eigenes Erleben im eigenen Bundesland. Er beschreibt seine Situation, womit er der Aussage von „Alex72“ eher widerspricht. Das Thema wird beibehalten, jedoch zeigt sich eine andere Meinung, denn er sieht keine Chance einen Impftermin zu bekommen. Er knüpft an den Sektor an. Die Interaktionssequenz bewegt sich von dort aus in Form der Erwiderung von „EinerderganzgroßenTourenklassiker“ zu einem neuen Beitrag. Dieser zieht aus den vorherigen Beiträgen und dem Artikel den Schluss, dass die Impfbereitschaft hoch ist. Der User stimmt seinen Vorgängern hinsichtlich des fehlenden Impfstoffes zu und spezifiziert dies mit der Begründung, dass die EU und Bundesregierung versagen. Dies geschieht durch einen Wechsel auf einen thematisch spezifischeren Sektor (Reduktion). Es wird versucht, die Aussage argumentativ zu stärken.

EinerderganzgroßenTourenklassiker

21. Mai 2021 um 12:31 Uhr

Impfbereitschaft ist hoch, das ist eine gute Nachricht.

Jetzt müsste nur die Bundesregierung aufhören bei der Beschaffung vom Impfstoffe eine so eine jämmerlich schlechte Performance hinzulegen und die EU aufhören dabei zu versagen.

Sonst ist bei vielen der Sommer vorbei ehe sie eine Chance haben geimpft zu werden.

In diesem Interaktionsverlauf ist der Sektor „fehlender Impfstoff und Impftermine“ Ausgangspunkt der folgenden Diskussion. Danach folgt der Sektor „Impfpriorisierung“ und „Versagen der Bundesregierung“. Vergleicht man die im Mittelpunkt stehenden Themen beider Artikel, so wird deutlich, dass viele Menschen auf einen Impftermin warten. Dies erweist sich 2020 und 2021 als schwierig. Während es zu Beginn des Impfens noch Priorisierungen gab, wurden diese im Mai 2021 in einigen Bundesländern aufgehoben. Der fehlende Impfstoff sorgt bei vielen weiterhin für Diskussionen, da sich die Kapazität des Impfstoffes nicht stark verbessert hat. Aus den Kommentaren wird ersichtlich, dass die Impfbereitschaft prinzipiell hoch ist und die Menschen bereit sind, sich impfen zu lassen unabhängig von den Gründen. Die subthematischen Sektoren sind bei beiden Artikeln ähnlich, wobei sich die Impfbereitschaft / Situation ein wenig verbessert hat.

2.3 Aussagenanalyse

Mithilfe der Aussagenanalyse soll folgende Frage unserer Arbeit geklärt werden: Inwiefern gehen Sprecheraussagen mit Kohärenz einher und mit welcher Bereitschaft treten die Akteure einander gegenüber? Da die Diskussion in Online-Foren besonders von Asynchronität, Schriftlichkeit aber dennoch Dialogizität gekennzeichnet ist, wird eine gewisse Tiefgründigkeit vorausgesetzt, die sich als Abgrenzungsmerkmal zu den flüchtigen Face-to-Face Gesprächen anbringen lässt.

In Webforen ist aufgrund des Veröffentlichungscharakters von einer argumentativen Kohärenz auszugehen.

Sprecher:innen verfügen hier über eine gewisse Aussagenkontrolle, die eine kooperative und reflektierte Argumentation ermöglicht. Das Belegen solch einer argumentativen Kohärenz ist also Aufgabe der Aussagenanalyse (vgl. Roth 2019: 380). Außerdem soll untersucht werden, inwiefern die Interaktanten die Aussagen teilen oder diesen widersprechen – die sogenannte Zugänglichkeit von Aussagen. In Online-Diskussionen kann der interaktive Aufwand von Sprecheraussagen z. B. anhand von Begründungen oder Belegen festgemacht werden. Gleichzeitig wird transparent, auf wie viel Akzeptanz ein Teilnehmer mit dieser Strategie trifft.

Aussagen, die also einen größeren interaktiven Aufwand benötigen, sind nicht unbedingt kontrovers oder gar unzugänglich für andere Kommunikationspartner, sondern benötigen mehr Engagement und Aufwand, um auf Zustimmung zu stoßen (vgl. Roth 2019: 380–381).

Anhand der Aussagenanalyse soll nun genauer die Produkthaftigkeit von Kommentaren und die damit verbundene argumentative Kohärenz in den Blick genommen werden. Dazu werden Kommentare unter einem Artikel aus dem Jahr 2020 herangezogen.

Mordonice

25. Dezember 2020 um 09:46 Uhr

Für mich klingt das eher danach, dass sich ein Drittel tatsächlich impfen lassen will. Das Abwarten eventueller Nebenwirkungen kann beliebig lange dauern.

Da wir bis Ende März aber ohnehin nur 6 Mio. Menschen impfen können, dürfte es dafür erst mal genug Nachfrage geben.

peter42hb

25. Dezember 2020 um 09:52 Uhr

Mit jeder Woche, in der keine gravierenden Nebenwirkungen bekannt werden, wird die Impfbereitschaft steigen. Es wäre doch - wie soll ich sagen - nicht besonders schlau, die realen Nebenwirkungen (bis hin zum Tod) einer Infektion zu riskieren, um die rein theoretischen Nebenwirkungen einer Impfung zu vermeiden.

Das Nadelöhr ist nicht die mangelnde Impfbereitschaft, sondern sind die Zulassungen und die Produktionskapazitäten.

Mordonice

25. Dezember 2020 um 9:57 Uhr

Sollte man denken, da gebe ich Ihnen Recht. So müssten sich aber auch fast alle jährlich gegen Grippe impfen lassen, die Impfung ist nicht gerade neu aber in der Realität lassen sich trotzdem viele Menschen nicht impfen.

Die Aussage von Mordonice fungiert in diesem Fall als Ausgangspunkt. Prinzipiell ist Mordonice der Auffassung, dass sich nur ein Drittel, statt der im Artikel angesprochenen zwei Drittel, tatsächlich impfen lassen wollen. Das Abwarten vor möglichen Nebenwirkungen sei für viele Menschen entscheidend. Der in der Artikelüberschrift angesprochene Diskursgegenstand wird somit unmittelbar aufgegriffen, sodass hier die intertextuelle Kohärenz von Aussagen belegt werden kann.

Der Gesprächsteilnehmer macht zudem einen neuen thematischen Block auf und hält fest, dass eine vermehrte Bereitschaft sowieso nicht umsetzbar wäre. Es ist auffällig, dass der Beitrag von peter42hb den gleichen argumentativen Aufbau verfolgt, wie der des Vorredners.

Zunächst werden die realen Nebenwirkungen einer Corona-Erkrankung den theoretisch möglichen Nebenwirkungen einer Impfung gegenüberstellt. Peter42hb meint, dass die Impfbereitschaft aufgrund fortschreitender Forschung zunehmen werde. Anschließend geht der Interaktant, ähnlich wie Mordonice, auf das Verhältnis von Impfbereitschaft und Impfkapazitäten ein. Durch den übernommenen inhaltlichen und argumentativen Aufbau, wird hier die Produkthaftigkeit von Aussagen kenntlich. Stabile Strukturen und logische Aufbaumuster als Merkmale von Online-Kommunikation können durch die Aussagenanalyse bestätigt werden. Der zweite Punkt der Aussagenanalyse, die Zugänglichkeit, soll ebenso kurz beleuchtet werden. Mordonice hinterfragt die Antwort von peter42hb.

Um die Akzeptanz von peter42hb zu gewinnen, startet der Gesprächsbeitrag mit einer direkten Ansprache: „[…] da gebe ich Ihnen Recht“. Das Eingehen auf den Vorredner kann somit als Argumentationsstrategie gesehen werden. Der im Theorieteil angesprochene interaktive Aufwand kann an diesem Beispiel demonstriert werden: Wenn Teilnehmer nicht direkt auf Zustimmung stoßen, werden Aussagen argumentativ komplexer eingeleitet, um den Gegenredner zu überzeugen (vgl. Roth 2019: 381).

Welche Bedeutung dem interaktiven Aufwand beigemessen werden kann, soll durch folgende Kommentare verdeutlicht werden:

Trevor Rabin

25. Dezember 2020 um 10:05 Uhr

So so 2/3 wollen sich impfen lassen ?

Komisch das ich niemanden kenne der sich impfen lassen möchte.

Komisch das ein Großteil der Ärzte und des Pflegepersonals sich nicht impfen lassen will.

Boesor

25. Dezember 2020 um 10:34 Uhr

Gibt´s für letzteres ne Quelle?

Aufreizend vitaler Gorilla

25. Dezember 2020 um 10:39 Uhr

» Gibt's für letzteres ne Quelle?«

Vermutlich ein Telegramm-Chat oder ähnlich seriöses

Trevor Rabin bezweifelt die Erkenntnis des Online-Artikels und begründet dies mit Erfahrungen aus dem Umfeld.

Außerdem stellt der Interaktant die These auf, dass sich die Mehrzahl der Ärzte und des Pflegepersonals nicht impfen lassen würde. Boesor reagiert daraufhin ausschließlich mit der Frage „Gibt´s für letzteres ne Quelle?“. Auch der nächste Gesprächsteilnehmer (Aufreizend vitaler Gorilla) reagiert mit einer belustigenden Antwort. Trevor Rabin habe seine These anhand eines privaten Chats aufgestellt. Es ist also eindeutig, dass der ursprüngliche Kommentar von Trevor Rabin auf weniger Zustimmung stößt. Kontroversität innerhalb der Aussage gibt es nicht, aber der interaktive Aufwand ist sehr gering, da hier keine Argumentationsstrategie oder wissenschaftliche Belege genutzt werden. Die Zugänglichkeit von Aussagen ist also vom Engagement abhängig, welches für eine kooperative und überzeugende Kommunikation aufgebracht wird. In Bezug auf die Impfbereitschaft kann festgehalten werden, dass diesem Thema kritisch begegnet wird.

Diese Kommentare sollen in Bezug auf die aktuelle Impfbereitschaft (2021) aussagenanalytisch untersucht werden.

bemüht

21. Mai 2021 um 11:25 Uhr

Wer sich als gesunder Erwachsener nicht impfen lassen will, muss sich diesen Vorwurf aussetzen.

Für manche Menschen ist die Impfung aber mit einem hohen Gesundheitsrisiko verbunden, während es für andere (Kinder und Jugendliche) noch keinen zugelassenen Impfstoff gibt. Diese Menschen müssen momentan durch die Impfung der anderen mit geschützt werden.

Filosov

21. Mai 2021 um 11:32 Uhr

Für die Menschen ist eine Corona-Infektion mit einem noch viel höherem Gesundheitsrisiko verbunden.

tassentee

21. Mai 2021 um 11:32 Uhr

Ohje, welche Menschen haben ein hohes Gesundheitsrisiko bei der Impfung? Ist das wegen Allergien? Aber müsste dann nicht wenigstens einer der zugelassenen Impfstoffe funktionieren? Also wenn mRNA zu gefährlich wäre z.B. der Impfstoff von AstraZeneca oder umgekehrt? Habe dazu noch nichts gehört. Hoffentlich überschneiden sich die Risikofaktoren nicht mit denen von Covid.

Der Beitrag von bemüht, in welchem das kritische Zusammenwirken von Vorerkrankungen mit der Corona-Impfung angesprochen wird, gilt in diesem Fall als Ausgangspunkt. Der nächste Gesprächsteilnehmer (Filosov) widerspricht dieser Aussage und meint, dass die eigentliche Corona-Infektion für gesundheitsgefährdete Menschen deutlich schädlicher sei als die Impfung.

Der Beitrag von tassentee kann als eine Art Synthese der vorigen Kommentare gesehen werden. Sowohl bemüht als auch Filosov nutzen keine wissenschaftlichen Belege, sodass bei tassentee Fragen aufkommen.

An dieser Stelle kann zum einen die Kohärenz der drei Kommentare verdeutlicht werden. Alle drei Kommentare bilden eine thematische Einheit und bauen aufeinander auf. Es lässt sich die für Online-Diskussionen typische argumentative Kohärenz beweisen. Auch die Zugänglichkeit von Aussagen kann anhand dieses Beispiels untersucht werden. Durch die beiden ersten Gesprächsbeiträge werden Unsicherheiten bei tassentee ausgelöst. Die ersten Aussagen können als ungesichertes Wissen aufgefasst werden, da sie nicht auf unmittelbare Zustimmung stoßen. Unter Einbezug von Quellen wären weniger Unklarheiten bei tassentee aufgekommen, sodass dieser Gesprächsteilnehmer sich womöglich einem der beiden Vorredner angeschlossen hätte. Es zeigt sich der Zusammenhang von interaktivem Aufwand und der Zugänglichkeit. Bezogen auf die Impfbereitschaft sind hier geteilte Meinungen herauszulesen. Einerseits besteht Unsicherheit, besonders in Bezug auf Vorerkrankungen, andererseits wird die Impfung als Chance für mildere Krankheitsverläufe gesehen.

2.4 Handlungsanalyse

Die letzte Analyseform der interaktional-pragmatischen Analyse bezieht sich auf die Analyse der Handlungen. Hierbei sind Handlungen als zentrales Kriterium der pragmatisch-interaktionalen Diskurssemantik zu verstehen (vgl. Roth 2019: 382). Prinzipiell erfasst eine Handlungsanalyse, unter welchen Bedingungen bestimmte Redebeiträge mittels konkreter sprachlicher Handlungen von den Gesprächsteilnehmern einer Diskursgemeinschaft verwirklicht wurden und welchen Status eine Aussage in diskursiven Wissensstrukturen unter Einbezug der Bedingungskonstellation innehat (vgl. Roth 2019: 383). Angesichts der Analyse von Handlungen kann das konversationsanalytische Modell als Orientierung genutzt werden, da es kollektive Kooperationsaufgaben der Gesprächsteilnehmer auf sechs Ebenen darstellt. Zu diesen Ebenen gehören Gesprächsorganisation, Handlungskonstitution, Sachverhaltsdarstellung, Soziale Identitäten und Beziehungen, Interaktionsmodalität und Reziprozitätsherstellung. Dabei bezieht sich die Gesprächsorganisation auf formale Abwicklungen und die Handlungskonstitution auf gemeinsame Handlungsziele und -zwecke der Gesprächsteilnehmer. Ferner werden Inhalte und Gesprächsthemen mithilfe der Sachverhaltsdarstellung beschrieben. Soziale Identitäten und Beziehungen verweisen auf das gegenseitige Verständnis und bestimmen interaktive Rollen der teilnehmenden Akteure.

Weiterhin kennzeichnet die Art der Beteiligung die Interaktionsmodalität. Reziprozitätsherstellung legt sich mittels Formen der Kooperation dar. Letztlich werden all diese Ebenen in der Gesprächsinteraktion gleichzeitig abgehandelt. Daraus ergibt sich eine komplexe Gleichzeitigkeit von Ansprüchen. Zudem sind alle Ebenen der Interaktionskonstitution bedeutend und sollten für eine entsprechende diskurspragmatische Interpretation herangezogen werden (vgl. Roth 2019: 382).

Im Folgenden soll an ausgewählten Beispielen mithilfe von Kommentaren einer Diskursgemeinschaft die Handlungsanalyse beschrieben werden. Zunächst wird ein Artikel mit beispielhaften Kommentaren aus dem Jahr 2020 herangezogen. Bei diesem Kommentarverlauf zeigt sich, dass der Nutzer Pony und Kleid eine Aussage tätigt, welche von dem Gesprächsteilnehmer Bembelsche kommentiert wird. Demnach ist die Gesprächsorga­nisation von einem Sprecherwechsel gekennzeichnet. Ergänzend beinhaltet der Beitrag von Pony und Kleid mehrere Sätze, in Form eines kleinen Textes mit zwei Abschnitten. Demgegenüber beschränkt sich die Antwort von Bembelsche auf einen Satz. Die Sachverhaltsdarstellung bezieht sich auf die Impfbereitschaft jüngerer Menschen im Vergleich zu älteren Menschen.

Hierbei wird zunächst den jüngeren Menschen eine höhere Impfbereitschaft zugeschrieben und ein Misstrauen von älteren Personen gegenüber der Impfung thematisiert. Die Handlungskonstitution besteht darin herauszufinden, ob die Impfbereitschaft bei jüngeren Menschen tatsächlich höher ist als bei Älteren. Die Beziehung der beiden Gesprächspartner ist distanziert und als kühl zu bewerten. Der Gesprächsteilnehmer Bembelsche reagiert vorwurfsvoll auf den vorangegangen Redebeitrag, da nicht alle älteren Menschen miteinander gleichzusetzen wären. Dabei greift er den Nutzer Pony und Kleid persönlich an, indem er die Worte „[...] Ihre 90jährige Tante [...]“ [7] gebraucht und damit auf Pony und Kleids Beitrag verweist. Hierbei wird illustriert, dass die Haltung einer älteren Person nicht auf die Gesamtheit aller Älteren zu übertragen sei. Allerdings wird sachlich diskutiert, unter Einhaltung von angemessener Sprache und Ausdruck. Demzufolge ist kein gegenseitiges Verständnis erkennbar, weil Bembelsche dem vorausgegangenen Kommentar widerspricht und somit anderer Meinung ist. Die Interaktionsmodalität ist von Ernsthaftigkeit gekennzeichnet. Es sind keine Anzeichen von ironischen oder gar spaßigen Aussagen festzustellen. Hinsichtlich der Reziprozitätsherstellung kooperiert der Nutzer Bembelsche insofern mit dem Nutzer Pony und Kleid, dass er auf den Gesprächsbeitrag eingeht und seine Meinung zu der getätigten Aussage kundtut. Zudem versteht er die vorangegangene Aussage und reagiert entsprechend darauf, indem er sie negiert.

Pony und Kleid

25. Dezember 2020 um 15:03 Uhr

Ich mache die Erfahrung, dass die Zustimmung zur Impfung gerade bei denen sehr hoch ist, die noch lange warten müssen, nämlich der jungen Generation, sprich unseren eigenen Kindern und deren Freunden. Je älter, um so skeptischer, so jedenfalls mein Eindruck. Gerade heute morgen noch musste einer über 90jährige Tante zugeredet werden, sich doch bitteschön im allgemeinen Interesse impfen zu lassen.

Bembelsche

25. Dezember 2020 um 15:05 Uhr

Nun muss Ihre 90jährige Tante nicht repräsentativ für alle 90jährigen Menschen sein.

Anschließend wird auf ein zweites Beispiel des aktuellen Jahres Bezug genommen. Hierbei handelt es sich um den Gesprächsteilnehmer Cejazar, welcher den Gesprächsbeitrag des Nutzers useros kommentiert. Demzufolge findet erneut ein Sprecherwechsel mit jeweils einem Kommentar pro Gesprächsteilnehmer statt. Beide Gesprächsbeiträge verfügen über mindestens zwei Sätze und sind von jeweils einem Absatz gekennzeichnet. Die Darstellung des Sachverhaltes bezieht sich auf die vorhandene Impfbereitschaft sowie das Fehlen der erforderlichen Impfstoffmenge.

Angesichts der Handlungskonstitution lässt sich feststellen, dass beide Gesprächsteilnehmer ihr Unverständnis und ihre Frustration gegenüber der zu geringen Menge an Impfstoff ausdrücken. Anhand Cejazars persönlicher Situation beschreibt er seine Unzufriedenheit über die geringe Impfstoffmenge. Diese Gefühlslage wird mittels des ironischen sprachlichen Mittels ausgedrückt. Die Ironie bezieht sich auf die Aussage des Artikels, dass es sich „nur“ um Wochen und nicht um Monate handle. Obwohl sich die beiden Foreneinträge ergänzen und in ihrer Meinung übereinstimmen, kann nicht davon ausgegangen werden, dass sich useros und Cejazar persönlich kennen. Die sozialen Identitäten der Nutzer stellen einen sachlichen und respektvollen Umgang dar. Deren Beziehung ist von Fremdheit gekennzeichnet. Allerdings bestehen Ähnlichkeiten in ihren Beiträgen, wodurch sich ein gegenseitiges Verständnis aufbaut. Diese gemeinsame Verständnisgrundlage zeigt sich, indem der Nutzer Cejazar, den vorausgegangen Kommentar mithilfe eines eigenen Erfahrungsbeispiels unterstützt. Beide Forenteilnehmer stimmen in ihrer Unzufriedenheit über das Fehlen von Impfstoff überein und tauschen sich darüber aus. Ergänzend verweisen beide Beteiligungen auf eine ernsthafte Interaktionsmodalität. Zu Beginn des Kommentars von Cejazar wird eine Aussage bezüglich des Artikels zitiert, welche als Aufhänger für den darauffolgenden Kommentar dient.

Ferner endet Cejazars Kommentar mit einem weiteren sprachlichen Mittel der Ironie, da er die Danksagung nicht ernst meint, sondern eher sein Unverständnis mit Nachdruck bekräftigt, indem er mit den Worten „Also vielen Dank für nichts“ endet.

Wie bereits angedeutet kooperieren beide Gesprächsbeiträge, da sie dieselbe Grundeinstellung verbindet und sie auf gegenseitige Anerkennung treffen. Beide Foreneinträge bemängeln die Knappheit des Impfstoffes, obwohl die zugrundeliegende Impfbereitschaft vorhanden sei.

useros

21. Mai 2021 um 13:58 Uhr

Schön, das die Impfbereitschaft sehr hoch ist.

Die erforderliche Impfstoffmenge für die vielen Impfwilligen scheint aber nicht so hoch zu sein!?

Cejazar

21. Mai 2021 um 14:08 Uhr

„Es geht um Wochen, nicht um Monate“.

Blöd nur, dass ich als Angehöriger der Gruppe drei schon seit Wochen auf einen Termin warte - und aufgrund der zu erfolgenden Zweitimpfungen in den nächsten Wochen nicht mit einem Termin zu rechnen ist. Also Vielen Dank für nichts.

Anhand der vorausgegangenen Analyse lässt sich feststellen, dass sich die Foreneinträge hinsichtlich ihrer äußeren Form ähneln. Zudem weisen sie in ihrer Interaktion Gemeinsamkeiten auf, indem jeweils ein Forennutzer den Beitrag kommentiert. Weiterführend handelt es sich bei beiden Beispielen, um anonyme Teilnehmer, welche sich gegenseitig nicht kennen. Ergänzend sind beide Foreneinträge ernsthaft zu werten, bei denen sachlich argumentiert und diskutiert wird.

Ferner beziehen sich beide Auszüge auf die Impfthematik zur Bekämpfung des Coronavirus. Ein Unterschied ergibt sich bezüglich der übereinstimmenden Verständnisgrundlage, welche ausschließlich bei dem zweiten Beispiel gegeben ist. Hierbei wurde ersichtlich, dass sich die Gesprächsteilnehmer des zweiten Forenbeispiels ergänzten, wohingegen beim ersten Kommentarausschnitt Uneinigkeit herrschte. Bezüglich des Themas besteht ein Zusammenhang, da im ersten Forenbeispiel die Impfbereitschaft thematisiert wird, welche im zweiten Beispiel durch den Mangel an Impfstoff fortgesetzt wird. Abschließend zeigen beide Foreneinträge sowohl ähnliche als auch sich unterscheidende sprachliche Handlungen, die in einer Diskursgemeinschaft in Zusammenhang mit dem Coronavirus getätigt wurden.

3. Analyse der Invektiven Kommunikation

Im folgenden Kapitel werden die Begriffe Invektive Kommunikation und Frameanalyse mit ihrer Charakteristik erklärt und beschrieben. Zudem wird versucht, Unterschiede zwischen Emotionen und Gefühlen hervorzuheben. Dann wird die Invektive Kommunikation in Foreneinträgen zu den herangezogenen Artikeln [7] und [6] untersucht.

3.1 Invektive Kommunikation und Frameanalyse

Sprachliche Zeichen sind Träger nicht nur von Inhalten, sondern auch von Bewertungen, Emotionen und Gefühlen.

Laut Norbert Fries (1996: 4) sind Gefühle „dem Menschen zugängliche Gestimmtheiten, die in ihrer Qualität introspektiv wahrnehmbar sind“. Ihre Intensität kann beispielsweise mithilfe des Hirnstrombildes oder der Hauttemperatur untersucht werden. Die Gefühle beziehen sich auf die komplexen Reaktionsmuster, die als ein Zusammenspiel von drei subjektiv-psychologischen, motorisch-verhaltensmäßigen und physiologisch-humoralen Ebenen gelten (vgl. ebd.: 4).

Die Emotionen hingegen seien „theoretische Beschreibungsgrößen der Linguistik“ (ebd. : 5). Die Emotionen werden anhand der verschiedenen Aspekte der Äußerungsbedeutung in Sprechakten beschrieben (vgl. ebd.: 5). Mees unterscheidet ereignisfundierte Emotionen, Attributionsemotionen, Beziehungsemotionen und Verbindungsemotionen (vgl. Mees 1991: 55). Die erste Gruppe wird durch die Präsenz der Zufriedenheit oder Unzufriedenheit bewertet. Sie gliedert sich in drei Gruppen: Empathie (Mitleid oder Neid), Erwartungsemotionen (Hoffnung oder Furcht) und Wohlergehensemotionen (Freude oder Leid). Die Attributionsemotionen erkennt man durch Billigung oder Missbilligung. Sie sind entweder mit internaler Attribution (Scham oder Stolz) oder externaler Attribution (Billigung oder Zorn) verbunden. Die vorletzte Gruppe enthält zwei Typen der Bewertungselemente – Wertschätzung oder Mögen / Nicht-Mögen. Das Wertschätzen bildet eine Gruppe von Wertschätzungsemotionen (Bewunderung oder Verachtung), hingegen bilden das Mögen oder Nicht-Mögen die Attraktivitätsemotionen (Liebe oder Hass). Die letzte Gruppe – die Verbindungsemotionen – fasst zwei Kategorien, nämlich Zufriedenheit und Billigung (Selbstzufriedenheit, Dankbarkeit) oder Unzufriedenheit und Missbilligung (Selbstunzufriedenheit, Ärger) (vgl. ebd.: 55).

Der Unterschied zwischen den Gefühlen und Emotionen beruht darauf, dass man mit Emotionen die spezifischen Bedeutungen verbindet, die sich durch die Sprache systema­tisch ausdrücken lassen (vgl. Fries 1996: 5–6). Bei Gefühlen geht es um psychische oder peripher körperliche Phänomene (vgl. ebd.: 4). Sowohl die Emotionen als auch Gefühle können entweder positiv oder negativ sein.

Das führt zum Begriff der invektiven Kommunikation, die ein Teil der sogenannten Hassrede ist und häufig mit negativen Gefühlen assoziiert wird. Die invektive Kommunikation bedeutet, dass eine Person die Normen des zwischenmenschlichen Umgangs missbraucht. Dazu gehören solche Phänomene, die „[…] von herabsetzender Unhöflichkeit über Schmähungen, Lästerungen und Beleidigungen bis hin zur Hassrede und verbaler bzw. symbolischer Gewalt, von intentionalen und persönlich adressierenden Varianten der Herabwürdigung bis zu gesellschaftlichen Dispositiven und Konstellationen […]“ (Ellerbrock u.a. 2017: 6) reichen. Ihr Ziel ist es, mithilfe der verbalen oder nonverbalen Kommunikationsakte negative Bewertungen von anderen Personen abzugeben und sie zu verletzten, d.h. ihre soziale Position zu senken oder diese Personen zu diskriminieren. In manchen Fällen geht es auch um die Diskreditierung der anderen. Aus diesem Grund erzeugt die Invektive in der Regel sowohl eigene normative und emotionale Ansprüche als auch andere Vorstellungen der Normalität (vgl. ebd.: 5–6). Die Folge der Verwendung von Invektiven beruht auf der sozialen In- und Exklusion oder der Entstehung von sozialen Hierarchien und Ordnungen. Zur invektiven Kommunikation werden Schimpf- und Fluchphrasen, Generalisierungen, Hyperbeln, pejorative Ausdrücke, Verabsolutierungen, Vorwurfsintonationen oder oft übertriebene Superlative verwendet (vgl. ebd.: 5–7). Das Invektive ergibt sich sowohl aus der bestimmten Situation (Kontext) und dem Kotext als auch aus dem Weltwissen.

Für die Untersuchung der invektiven Kommunikation kann die Frameanalyse angewendet werden. Die Frameanalyse baut darauf auf, dass das Verständnis eines Ausdrucks mit dem Aufrufen des Rahmens verbunden ist (vgl. Tokarski 2006: 36). Die Frameanalyse beruht auf dem Finden der Ausdrücke, die zu einem konkreten Rahmen gehören. Die Ausdrücke rufen einen bestimmten Rahmen auf (vgl. Fillmore 1982: 116–117). Ein Rahmen kann sowohl durch eine Aussage als auch durch einen als Element des lexikalischen Systems geltenden Ausdruck ins Bewusstsein gebracht werden (vgl. Tokarski 2006: 36).

Charles Fillmore unterscheidet drei wichtige Voraussetzungen für eine Frameanalyse, nämlich den Enzyklopädismus der Semantik, die Schematisierung des Wissens und die Prototypen sowie die Perspektivierung als Kriterien zur Wahl einer Einheit aus dem Rahmen. Der Enzyklopädismus sagt, dass das Verständnis der Ausdrücke sich nicht nur aus dem Erkennen der unterschiedlichen Eigenschaften, sondern auch aus dem Weltwissen, den Normen, der Praxis oder den geltenden Bräuchen ergibt. Die Schematisierung des Wissens sagt, dass die Prototypen zwar ein ideales Modell bilden, aber in der Realität kann man zahlreiche Abweichungen von dem Modell beobachten. Hingegen hebt die letztere Voraussetzung die Rolle des Interpreten hervor, der bestimmte Rahmen und Szenen mithilfe seiner Erfahrung, Kultur, interiorisierten Regeln und seines Weltwissens konstruiert (vgl. Tokarski 2006: 38–41).

3.2 Analyse der emotiven Kommunikation anhand der Kommentare

Die Analyse beginnt mit der Untersuchung der Kommentare, die sich unter dem Artikel Zwei Drittel der Deutschen wollen sich gegen Corona impfen lassen vom Dezember 2020 [7] befinden, nämlich mit dem früher in der Sektorenanalyse erwähnten Kommentar von „s062012“. Hier kann man beobachten, dass mit dem Ausdruck „Allgemeinheit“ eine diskriminierende Wirkung beabsichtigt wird:

s062012

25. Dezember 2020 um 10:12 Uhr

warum sollte man sich sonst imofen lassen?? Für die Allgemeinheit etwa??? Die Allgemeinheit, die sich ansonsten nichts um all diejenigen schert, die am Rand der Gesellschaft stehen? Ich lasse mich genau aus 2 Gründen impfen. Ich will nicht krank werden und ich will mich nicht länger eindchränken als unbedingt notwendig. Von der Allgemeinheit bekomme ich nämlich genau NULL dafür zurück, dass ich mich seit Monaten einschränke und verzichte. Und sollte ich einen Schaden durch die Impfung erleiden wird das von der werten Allgemeinheit auch nicht kompensiert.

Der Autor hebt hervor, dass diese „Allgemeinheit“ sich weder um andere kümmert noch hilft. In dem Satz „Von der Allgemeinheit bekomme ich nämlich genau NULL dafür zurück, dass ich mich seit Monaten einschränke und verzichte“ („s062012“ [7]) ruft das Verb „bekommen“ den Rahmen des Bekommens (receiving) auf. Dieser Rahmen beruht darauf, dass der Rezipient (recipient) zuerst nicht über ein bestimmtes Objekt (theme) verfügt. Später kommt er in den Besitz des Objekts, weil er es von dem / der Spender:In (donor) als Quelle (source) erhält. Die Voraussetzung ist wie im getting-Rahmen, dass die Quelle zuerst das Objekt besitzt und infolge des Transfers es nicht mehr sein Eigen nennen kann, da der Rezipient es hat. Die „Allgemeinheit“ gilt hier als die Quelle, die dem Rezipienten etwas (eine Gegenleistung für die geleisteten Einschränkungen und Verzichte) übergibt. In diesem Fall ist er jedoch der Besitzer von nichts; die Gegenleistung gleiche „s062012“ Null, also auch im Falle eines durch die Impfung verursachten Schadens ist seiner Meinung nach von der „Allgemeinheit“ nichts zu erwarten. Dies ruft bei „s062021“ nicht nur Ärger (Verbindungsemotion) hervor, sondern ist zugleich ein Argument, sich nicht wegen der Allgemeinheit, sondern aus zwei anderen, persönlichen Gründen impfen zu lassen. Die Verärgerung wird zusätzlich durch die Großschreibung des Wortes Null verdeutlicht. Darüber hinaus drückt „s062021“ seine Verachtung (Beziehungsemotion) der Allgemeinheit gegenüber durch die sarkastische Attribuierung mit dem Adjektiv werte (werte Allgemeinheit) aus.

Eine andere Art der invektiven Kommunikation liegt im Kommentar von „Bembelsche“ vor, die als eine Reaktion auf den Beitrag von „Pony und Kleid“ gilt:

Pony und Kleid

25. Dezember 2020 um 15:03 Uhr

Ich mache die Erfahrung, dass die Zustimmung zur Impfung gerade bei denen sehr hoch ist, die noch lange warten müssen, nämlich der jungen Generation, sprich unseren eigenen Kindern und deren Freunden. Je älter, um so skeptischer, so jedenfalls mein Eindruck. Gerade heute morgen noch musste einer über 90jährige Tante zugeredet werden, sich doch bitteschön im allgemeinen Interesse impfen zu lassen.

Bembelsche

25. Dezember 2020 um 15:05 Uhr

Nun muss Ihre 90jährige Tante nicht repräsentativ für alle 90jährigen Menschen sein.

Hier wird der Rahmen des Denkens: Bewusstheit (thinking: awareness) aufgerufen, in dem es u.a. ein erkennendes Subjekt (cognizer) und Inhalt (content) gibt. Das erkennende Subjekt verfügt über einen konkreten Grad der Bewusstheit des Inhalts. Es kann sich dem konkreten Grad der Bewusstheit durch direkte Perzeption bewusst werden, aber in der Regel entsteht die Bewusstheit durch die Deduktion, die von dem erkennenden Subjekt durchgeführt wird [4]. Der Autor meint, dass die besagte Tante kein stellvertretendes Beispiel für alle alten Menschen wäre. Die generelle Interpretation der Nominalphrase „90-jährige Tante“ im Sinne von „alte Menschen“ würde im Endeffekt zur Senkung der Position einer ganzen Altersgruppe führen.

Aus emotionaler Sicht betrachtet, hat „Bembelsche“ auf den ersten Blick eine weder positive noch negative Einstellung zum Kommentar von „Pony und Kleid“. Jedoch, wenn man dieser Aussage genauer nachgeht, kann man feststellen, dass „Bembelsche“ sich ein bisschen spöttisch über die Meinung von „Pony und Kleid“ äußert. Er schreibt „Ihre 90jährige Tante“, als ob sie die Tante von „Pony und Kleid“ wäre. Da das Possessivpronomen nicht nur Besitzverhältnisse bzw. allgemein eine Zugehörigkeitsrelation ausdrückt, kann es ebenso gut nicht als Verwandtschaftsbezeichnung, sondern als Angliederung (die besagte Tante) interpretiert werden. In beiden Fällen jedoch wird die Tante als eine negative Ausnahme verächtlich herabgesetzt.

Im Artikel unter dem Titel Impfbereitschaft laut Robert Koch-Institut „sehr hoch“ vom Mai 2021 [6] wurden viele Aussagen wegen Verstößen gegen die Regeln dieser Plattform gelöscht. Außerdem sind die Kommentare sehr emotional, was mit der Textdynamik verbunden ist. Der Ausbruch der Corona-Pandemie hat unsere Wahrnehmung konkreter Phänomene, Regeln oder Aussagen verändert. Die Menschen sind heute wütender als früher, weil sie stetig im Lockdown leben oder keine Familie oder Freunde sehen dürfen.

„User789“ bezeichnet mit dem Wort „Ungeimpfte“ diejenige Gruppe der Menschen, die in der heutigen Realität weniger Rechte und einen niedrigeren Status durch Verordnungen des Staates haben könnten:

User789

21. Mai 2021 um 12:15 Uhr

Nein. Der Staat verbietet den Zugang und grenzt Ungeimpfte aus.

Der Ausdruck „Ungeimpfte“ in Zusammenstellung mit dem Verb „ausgrenzen“ kommt hier als Invektive vor. Das Verb „ausgrenzen“ ruft den semantischen Rahmen auf, dessen Element (exclude_member) lexikalisch durch „Ungeimpfte“ besetzt ist. Das macht „Ungeimpfte“ in diesem Ko- und Kontext zu einem pejorativ konnotierten Ausdruck. Im Endeffekt wird das Mitglied (member) infolge der Handlung der Autorität (authority) innerhalb einer Gruppe (group) aus ihr entlassen [3]. Das bedeutet, dass die Rechte der Ungeimpften beschränkt werden können, weil sie sich nicht impfen lassen.

Aus emotionaler Sicht weist das Verb „ausgrenzen“ auch auf ereignisfundierte Emotionen, nämlich auf Furcht vor den neuen Regeln und Einschränkungen hin. „User789“ missbilligt (externale Attribution) die unverschuldete, durch die Priorisierung verursachte Ausgrenzung von Ungeimpften.

Hingegen äußert sich der Benutzer „Filosov“ zum Thema COVID-19 und verwendet die saloppe, abwertende Invektive „Teufelszeug“ zweimal – um die Impfung und die Krankheit (COVID-19) zu bezeichnen:

Filosov

21. Mai 2021 um 11:55 Uhr

Stichwort Masernparty: Wenn ungeimpfte Kinder zusammenkommen (Das Zusammenkommen ist für die Kinder sehr wichtig), dann verteilen sie das Virus munter weiter, und Sie klingen so, als wäre das kein Problem, die alten sind ja geimpft. Das ist dieselbe Haltung wie bei Masernparties.

Sie müssen ja auch nicht die Verantwortung tragen für die restlichen der "allermeisten" Kinder, die wirklich krank werden - und was Spätfolgen angeht wissen wir sowieso noch nichts, während sie so tun, als sei die Impfung das Teufelszeug (die armen Kinder können erstmal verschont werden).

Weiß ja nicht ob sie das mitbekommen haben, aber Covid19 ist das Teufelszeug.

Die Aussage „Covid19 ist das Teufelszeug“ [7] verbindet sich mit dem Rahmen der Meinung (thinking: opinion). Hier gibt es ein erkennendes Subjekt (cognizer), eine Meinung (opinion) und ein Thema (topic). Das erkennende Subjekt vertritt eine konkrete Meinung, die als Beschreibung eines bestimmten Themas gilt [4]. Der Autor des Kommentares fungiert als erkennendes Subjekt und drückt seine Meinung – etwas ist Teufelszeug – aus. Das Thema dieser Aussage ist COVID-19, d.h. eine Krankheit, die durch das Virus SARS-CoV-2 verursacht wird. „Filosov“ beschreibt COVID-19 als etwas Schlechtes und Gefährliches für Menschen. Er vergleicht es auch mit dem Teufel, also mit der Kreatur aus der Hölle. Zuvor schreibt „Filosov“, dass die Impfung auch als Teufelszeug betrachtet werde und ruft damit ebenfalls den Rahmen der Meinung (thinking: opinion) auf. Das Thema (topic) ist nun aber die Impfung und das erkennende Subjekt (cognizer) nicht mehr der Kommentierende, was man an der Verwendung des Konjunktivs erkennt. Damit wird unmittelbar die Denkweise des anderen als falsch ausgestellt. Am Ende sagt er, was wirklich das Teufelszeug ist – COVID-19. Daraus wird ersichtlich, dass man in einem Rahmen mit Hilfe verschiedener lexikalischer Besetzung des Topics andere Meinungen äußern kann. „Filosov“ ironisiert, indem er das Wissen von der Gefährlichkeit der Krankheit derjenigen, die die Impfung für Teufelszeug halten, in Frage stellt und sich über das Mitleid mit den armen Kindern‚ die von der Impfung verschont werden können, lustig macht. Damit missbilligt er das Argument gegen das Impfen.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die invektive Kommunikation nicht nur darauf beruht, dass sie beleidigende Ausdrücke enthält. Sie kann auch in diesen Aussagen gefunden werden, die expressive Ausdrücke mit negativen Emotionen enthalten. Invektive Kommunikation kann sowohl durch Verbalinjurie als auch implizit zustande kommen. Sie ist auch mit der Textdynamik verbunden, denn sie führt zu einer anderen Wahrnehmung oder einer neuen Perspektivierung einer Situation.

4. Ergebnisse zur Textdynamik

Der DUDEN definiert Dynamik als eine auf Veränderung und Entwicklung ausgerichtete Kraft [2]. Dynamik lässt sich also nicht ausschließlich im physikalischen Bereich finden, auch in Texten sind gewisse Dynamiken zu erkennen. Im Folgenden geht es weniger um Texte im eigentlichen Sinne, sondern um den dialogischen Aspekt von diskurspragmatischen Aussagen in Online-Foren. Texte bzw. die Online-Kommentare werden unter Berücksichtigung aktueller Umstände verfasst und dienen somit zum Austausch und zur persönlichen Wissensorganisation (vgl. Fritz 2017: 15). Mithilfe der interaktional-pragmatischen bzw. der emotiven Frameanalyse, zeigte sich die Dynamik in verschiedenen Bereichen.

Zum einen zeichnet sich eine thematische Veränderung ab. Während man sich im Dezember 2020 vorrangig mit Skepsis gegenüber der Impfstoffwirksamkeit auseinandersetzte, geht es im Frühjahr 2021 besonders um Impfpriorisierung und steigende Impfbereitschaft. Aber auch in Hinblick auf die Emotionen kann man festhalten, dass sich diese mit dem Fortschreiten der Pandemie wandeln. Im Frühjahr 2021 kam es zu vermehrten Sperrungen von Usern oder dem Löschen von Kommentaren aufgrund unangebrachter Formulierungen, denn zahlreiche Menschen erlebten einen Winter mit Einschränkungen und Krankheitsfällen im Familien- und Bekanntenkreis. Diese Frustration zeigt sich in aggressiveren Aussagen. Zudem lässt sich sagen, dass hier die Textdynamik als Folge sozialer Dynamik gesehen werden kann. Menschen als kommunikationsbedürftige Wesen bekommen in Zeiten der Pandemie wenig Raum für öffentlichen Austausch.

Kontroverse Meinungen, vor allem bezüglich der Corona-Impfung, welche einerseits als Chance, andererseits als Risiko empfunden wird, werden nun in digitalen Interaktionen diskutiert. Ursprünglich private Kommunikation wird öffentlich (vgl. Masur / Teutsch / Dienlin 2019: 337–339). Die Texte bilden somit ein Spiegelbild gesellschaftlicher Grundstimmungen ab, sodass sich dieses in der Textdynamik niederschlägt.

5. Fazit

Aus den in der Arbeit analysierten Kommentaren wird ersichtlich, dass die Impfbereitschaft unter den Deutschen grundsätzlich hoch ist. Außerdem versinnbildlichen die Kommentare verschiedene Gefühle und Emotionen. Dies lässt sich durch die länger anhaltenden Pandemiezustände erklären. Laut Spahns Zitat [5] wurde mit Zulassung des Impfstoffes ein Weg in die Normalität eingeleitet, welcher von vielen Deutschen angenommen wird. Aber ob die Pandemie tatsächlich beendet werden kann, wird sich in naher Zukunft zeigen. Trotz der zunehmenden Impfbereitschaft erfolgt die Verabreichung der Impfdosen nur schrittweise, da die eingeschränkte Impfstoffmenge und die zuvor geltende Impfpriorisierung den Prozess verlangsamten. Sowohl dieser Aspekt als auch die Angst vor möglichen Nebenwirkungen hinterlassen Zweifel. Trotz anfänglicher Besorg­nisse lassen sich immer mehr Menschen impfen, als zuvor erwartet.  Aus aktuellen Statistiken geht hervor, dass sich bereits 49,9 Prozent der Deutschen für eine Covid-19-Impfung entschieden haben [5].

Die vorangegangenen Analysepunkte haben gezeigt, mit welcher Vielseitigkeit Kommunikation in Online-Foren untersucht werden kann. Mithilfe der Sektorenanalyse konnten wir zeigen, welche Themen Schwerpunkte der Diskussion sind, wobei besonders in dem aktuellen Artikel der fehlende Impfstoff thematisiert wurde. Durch die Aussagenanalyse wurde ersichtlich, dass Online-Kommunikation mit einer hohen Kohärenz im Vergleich zu Face-to-Face-Gesprächen einhergeht. In der Handlungsanalyse wird erkennbar, wie sich die einzelnen Gesprächsbeiträge und Gesprächsteilnehmer aufeinander beziehen. Schwierig während der Analyse war die Begrenzung auf einzelne Kommentare, da eine Vielzahl an thematisch verschiedenen Gesprächen und Diskussionen vorhanden ist. Außerdem ist es zuweilen schwierig, die Emotionen der Teilnehmer im schriftlichen Text zu interpretieren. Um die Dynamik noch besser analysieren zu können, wären weitere Beiträge der Teilnehmer interessant.

  • Ellerbrock, Dagmar / Koch, Lars / Müller-Mall, Sabine / Muenkler, Marina / Scharloth, Joachim / Schrage, Dominik / Schwerhoff, Gerd (2017): Invektivität – Perspektiven eines neuen Forschungsprogramms in den Kultur- und Sozialwissenschaften, in: Kulturwissenschaftliche Zeitschrift 2, 2–24.
  • Fillmore, Charles J. (1982): Frame Semantics, in: Linguistics in the Morning Calm, 111–137.
  • Fries, Norbert (1996): Grammatik und Emotionen, in: Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik, 26, 37–69.
  • Fritz, Gerd (2017): Dynamische Texttheorie, 2. Aufl., Gießen: Universitätsbibliothek.
  • Gardt, Andreas (2007): Diskursanalyse. Aktueller theoretischer Ort und methodische Möglichkeiten, in: Warnke, Ingo H. (Hrsg.): Diskurslinguistik nach Foucault. Theorie und Gegenstand. Berlin, New York: De Gruyter, 27–52.
  • Masur, Philipp K. / Teutsch, Doris / Dienlin, Tobias (2019): Privatheit in der Online-Kommunikation, in Schweiger, Wolfang / Beck, Klaus (Hrsg.). Handbuch Online-Kommunikation, 2. Aufl., 337–339.
  • Mees, Urlich (1991): Die Struktur der Emotionen, Göttingen: Hogrefe.
  • Pappert, Steffen / Roth, Kersten Sven (2016): Diskursrealisationen in Online-­Foren, in: Zeitschrift für Angewandte Linguistik 65, 37–66.
  • Roth, Kersten Sven (2019): Diskurs und Interaktion, in: Handbuch Diskurs, 363–386.
  • Tokarski, Ryszard (2006): Pola znaczeniowe i ramy interpretacyjne – dwa spojrzenia na język, in: LingVaria nr 1, 35–46.

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