Bericht zu GIP Lehraustausch-Textdynamiken: Tutorium Der Zauberberg
Das Ausrichten des Tutoriums zu Thomas Manns Zauberberg im Zuge des GIP-Lehraustauschs – Textdynamiken zwischen der Universität Leipzig und der Universität Krakau war für mich eine wichtige Erfahrung. Einerseits lag das am Gegenstand, da auch vertraute Texte im Zuge einer didaktischen Aufbereitung noch einmal eine ganz andere Form der Beschäftigung nötig machen. Andererseits freute ich mich aber auch auf die Möglichkeit, an einem internationalen Lehrprojekt teilzunehmen. Schwierigkeiten hatte ich in der Vorbereitung vor allem bei der Formulierung einer Zielstellung des Tutoriums, da zwar ein repräsentativer Überblick über prominente Themen und ästhetische Besonderheiten wünschenswert ist, aber mit bloß vier Sitzungen sehr wenig Zeit zur Verfügung stand. Didaktisch zeichnen sich Tutorien traditionell durch ein hohes Maß an Beteiligung von Studierendenseite aus, was auch hier durch die kleine Gruppengröße naheliegend war. Diesen Spagat zwischen einer repräsentativen Behandlung des Romans unter Vermeidung grober Vereinfachungen und der Beibehaltung des offenen und mitarbeitsintensiven Formats in einem sehr engen Zeitrahmen muss ich rückblickend als größte Herausforderung betrachten. Ich glaube, dass es mir sehr gut gelungen ist, entscheidende Inhalte und Formelemente des Romans durch thematische Abstraktionen und Bündelung von über den gesamten Roman verteilten Texteinheiten auf vier Sitzungen aufzuteilen. Die dafür notwendige Verdichtung des Stoffs führte jedoch zu einer enormen Komplexität, der man im Vorlesungsformat vermutlich durch sukzessive, konzentrierte Argumentation gerecht werden kann. Die in meinen Augen entscheidenden Inhalte diskursiv mit den Studierenden aus dem Text herauszuarbeiten erwies sich als herausfordernd und bedurfte mitunter stärkerer Anleitung, als ich es didaktisch vorgesehen hatte. Aufgrund des sehr engen Zeitrahmens und einem verständlicherweise geringen Vorwissensstand der Studierenden bezüglich literarischer, biographischer und philosophischer Bezüge des Zauberbergs schien mir jedoch keine ganz zufriedenstellende Symbiose zwischen komplexem, bedeutungsvollem Lehrinhalt und offener, diskussionsfreudiger Lehrmethode möglich. Dies sollte bei künftigen Tutorien im Voraus bedacht und Ziele, Inhalte und Methoden entsprechend abgestimmt werden.
Trotz der didaktischen Herausforderungen erscheint mir dieses Tutorium als gelungenes Beispiel für eine Internationalisierung der Hochschullehre. Der Austausch zwischen mir als deutschem Muttersprachler in der lehrenden Rolle und den polnischen Studierenden der Germanistik über den Zauberberg – einen hochkanonischen deutschsprachigen Roman – verlief reibungslos, was auch am hohen sprachlichen Niveau der Studierenden lag. Die von den Teilnehmer:innen zu Beginn angeführten Berührungsängste mit diesem sehr langen und komplexen Roman konnten durch meine muttersprachliche Perspektive reduziert und Unklarheiten schnell aufgeklärt werden. Ein hoher Kompetenzzuwachs sollte bei den Germanistikstudierenden zusätzlich dadurch erreicht worden sein, dass sie literaturwissenschaftliche Diskussionen über den gesamten Zeitraum des Tutoriums ausschließlich in deutscher Sprache geführt haben.