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Beitrag 5

Der Garten der Hannah Höch als Teil eines künst­le­rischen und persönlichen Netzwerks Am Beispiel des Briefaquarells Selbst im Garten

Von Jan König (Leipzig)

1. Einleitung

Als revolutionäre DADA-Künstlerin gelangte Hannah Höch (1889–1978) vor allem durch ihre Collagen und Fotomontagen zu weltweiter Bekanntheit. Ihr Werk ist eng mit ihrer bewegten Biographie verflochten und tief geprägt von den politischen Umschwüngen im Europa der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts. Vor allem der Aufschwung des Nationalsozialismus, in dessen Zuge sie als ‚Kulturbolschewistin‘ diffamiert und damit maßgeblich an der Ausübung ihrer künstlerischen Tätigkeiten gehindert wurde, markierte einen tiefen Einschnitt in ihrer Biographie. Anders als viele ihrer Freund:innen und Kolleg:innen, die sich durch die nationalsozialistische Machtübernahme und den Ausbruch des Zweiten Weltkrieges gezwungen sahen, Deutschland oder gar Europa zu verlassen, entschied sich Höch zur „inneren Emigration“ (Sturm / Bauersachs 2007: 5). Sie zog von ihrer Stadtwohnung in Berlin Friedenau nach Heiligensee auf ein Grundstück mit einem kleinen Haus und Garten. Dieser Garten, den sie bis zu ihrem Tode mit Hingabe pflegte, kann in enge Beziehung zu ihrem Leben und Werk gesetzt werden. Markant ist dabei die Verflechtung von Höchs gärtnerischer Tätigkeit mit persönlichen Erlebnissen, politischen Ereignissen und ihrem künstlerischen Wirken.

Im Folgenden soll zunächst ein historischer Überblick über Entstehung, Aufbau und Bedeutung des Gartens für das Gesamtwerk Hannah Höchs gegeben werden. Anschließend soll exemplarisch auf ein Briefaquarell Höchs an ihre Schwester eingegangen werden. Dieses legt nicht nur Zeugnis über die besondere Verbindung Höchs zu ihrem Garten ab, sondern ist auch eine erstaunliche Text-Bild-Synthese. Anhand einer Bildbeschreibung und einer auszugsweisen Besprechung der Beschriftung zeigt sich die Vielschichtigkeit der Funktionen, die der Garten für Höch erfüllte.

Die Ausführungen orientieren sich hauptsächlich an der Höch-Monographie Heinz Ohffs (1968) sowie der detaillierten Ausarbeitung zum Garten der Künstlerin von Gesine Sturm und Johannes Bauersachs (2007). Zudem dienten verschiedene Bände der archivarischen Edition Hannah Höch. Eine Lebenscollage als wichtige Quellen (Höch 1995; Höch 2001).

2. Der Garten der Hannah Höch

Nachdem ihr Werk (und ihre Person) vom nationalsozialistischen Regime als ‚entartet‘ eingestuft und sie zudem von ihren Anwohnern in Berlin Friedenau denunziert worden war, entschloss sich Höch 1939 zum Kauf des Grundstücks in Heiligensee, einem Ortsteil von Berlin Reinickendorf (vgl. Ohff 1968: 7). Auf 1172 m² schuf sich Höch zu Kriegsbeginn ihr eigenes Exil. Die Gartendenkmalpflegerin Gesine Sturm hat in der Struktur des Areals fünf konzentrische ‚Schutzhüllen‘ aus Bepflanzung, Laubengängen und Spalieren erkannt, welche sowohl symbolisch als auch faktisch als Abschirmung des Wohnhauses vom Außen funktionierten. Die Wohn- und Arbeitsstätte der Künstlerin hingegen öffnete sich dem umgebenden Garten durch einen lichten Wintergarten und viele Zimmerpflanzen (vgl. Sturm / Bauersachs 2007: 31). Die Bepflanzung des Gartens war üppig, trieb viele Blüten und folgte in ihrer Anordnung in den wenigsten Fällen taxonomischen Grundlagen. Von ihren Reisen brachte Höch regelmäßig Pflanzen mit. So schrieb sie nach einer Wanderung im deutschen Mittelgebirge im Sommer 1942 in ihren Terminkalender: „13.8. Heute im Garten das Alpinum gebaut mit all den mitgebrachten Pflanzen.“ (Höch 1995a: 670)

Doch der Garten fungierte nicht nur als Sammelsurium für allerhand Vegetation: Vor allem im Zuge des aufkommenden Nationalsozialismus brachte Höch auf dem Gelände nicht nur ihre eigenen Kunstwerke unter, um sie vor den Nazis zu verstecken, sondern bewahrte mit der Zeit auch viele ‚entartete‘ Werke von emigrierten Freunden wie beispielsweise Hans Arp, Kurt Schwitters oder Raoul Hausmann auf (vgl. Ohff 1968: 7f.). Neben Kunstwerken sicherte sie auf ihrem Grundstück auch tausende Bücher, Plakate, Manifeste, Kataloge, Tagebücher und Briefe. All diese Objekte nannte sie ihre „Schätze“ (Ohff 1968: 7). Aus Angst vor Plünderung durch die russischen Soldaten vergrub sie einige der Werke, die sie auf ihrem Grundstück verbarg, sogar im Garten (vgl. Sturm / Bauersachs 2007: 11). Das Grundstück in Heiligensee diente somit nicht nur der unter dem Hakenkreuz unerwünschten Künstlerin selbst als Exil, sondern auch den künstlerischen Erzeugnissen vieler anderer ‚Entarteter‘. Höch bewahrte damit die Werke und Schriften anderer Avantgardist:innen vor der Konfiszierung und / oder Zerstörung und schuf auf ihrem Gartengrundstück eine Art archivarischen Mikrokosmos. Ralf Burmeister, der Leiter der Künstler:innenarchive der Berlinischen Galerie, sieht in diesem Vorgang des Sammelns und Erhaltens in Bezug auf Höchs revolutionär und emanzipatorisch geprägte Biographie die Fähigkeit, „in der traumatischen Situation der äußeren Bedrohung einen Ort individueller Freiheit zu schaffen.“ (Burmeister 2001: 16)

Bei seiner Eröffnungsrede in der Kunsthalle Tübingen anlässlich der ersten Hannah Höch gewidmeten Ausstellung erkennt der Kunsthistoriker Eberhard Roters vier Grundprinzipien im Leben und Werk der Künstlerin: Distanz, Autarkie, Schnitt und Mischung. So sei der Schnitt mit der Schere das „hauptsächliche künstlerische Verfahrensprinzip Hannah Höchs“ (zit. nach Sturm / Bauersachs 2007: 25). Darüber hinaus sieht Ralf Burmeister die Collage nicht nur als dominante künstlerische Technik Höchs an, sondern auch als Lebensmaxime. Ihr Grundstück bezeichnet er als „autobiographische[] Materialcollage“, für die sie eigene Zugriffssysteme in Form von alphabetisch angeordneten „Findbücher[n]“ mit den Titeln „Was – Wo“ anlegte (Burmeister 2001: 31).

Nun eine Verbindung zu ziehen zwischen Hannah Höchs Verfahrensweisen bei der Herstellung von Bildwerken und ihrer gärtnerischen Tätigkeit, liegt nahe. Mitunter wird das Gelände in Heiligensee auch als ‚Gartencollage‘ bezeichnet. So beschreibt der Kunstkritiker Heinz Ohff Höchs Garten als „eine natürliche Collage, ein wachsendes, blühendes, im Jahreskreislauf reifendes Materialbild aus Chlorophyll und Blütenfarben, aus Blättern und Ranken.“ (Ohff 1968: 7) Gesine Sturm und Johannes Bauersachs sehen eine Parallele zwischen Höchs Papier- und ihrer Gartenschere: beides Instrumente, mit denen sie täglich das Material, sei es nun Papier oder organisch Gewachsenes, in die gewünschte Form bringt, aussortiert und „zu bändigen sucht“ (Sturm / Bauersachs 2007: 24). Geradezu ironisch erscheint es, dass die Künstlerin große Teile ihres Sehvermögens einbüßt, als sie sich bei der Gartenarbeit das rechte Auge an den Dornen einer Kletterrose verletzt (vgl. ebd.: 11). Zu bedenken bleibt, dass diese Symbiose von Künstlerin und Garten, von Frau und Natur nicht romantisiert werden sollte, entstand Höchs Gartenexil doch unter dem Zwang, sich vor den Blicken des nationalsozialistischen Regimes zu verbergen und sich selbst zu versorgen.

In einem Brief an Thomas Ring aus dem Jahr 1943 hebt Höch hervor, dass das Leben im Garten keineswegs Ausdruck einer poetischen Symbiose ihrer selbst mit der Natur sei, sondern harte Arbeit, die sie zur Selbstversorgung und als Ausgleich für ihre künstlerischen Tätigkeiten betreibe:

Ich lebe also sehr zurückgezogen in meinem Häuschen und mit dem Stück Erdboden, dass [sic] mit einem Zaun abgeschlossen ist. Dem ich viele Blumen und schöne Früchte entlocke. Das geschieht aber nicht – wie die Dichter meinen – mit herumwandeln [sic] und liebevollem Anschaun –, sondern da heisst es arbeiten. Feste arbeiten. Unzählige Kräuter, die der Mensch als Unkräuter bezeichnet [sic] müssen beseitigt werden, Dung muss präpariert, verteilt und beschafft werden. Jede Pflanze will befragt sein und versorgt. Und nun setzt ja auch schon der Ertrag ein. Erdbeeren sind da. Man erlebt mit einem Stück Boden das Jahr und damit das sich abwandelnde Stück Leben so ungeheuer intensiv.

Daneben als Ausgleich für die Gartenarbeit: malen. Tut der Rücken weh, gehts zur Staffelei. Tun die Augen weh, gehts’ [sic] wieder raus. Ich habe neben einigen ‚gedanklich belasteten‘ Bildern Blumenstücke oder Pflanzenstücke gemacht – […] mit dem Bewusstsein, dass nichts gerechtfertigter sein kann, als diesen anbetungswürdigsten Formen nachzuspüren und sie darstellerisch zu verewigen zu suchen. Schon ihr Duft gibt ihnen eine Sonderstellung. Ich möchte immer den Duft von Kraut und Unkraut, Baum und Blüte wiedergeben.

(Höch 1995b: 676)

Die Kunsthistorikerin Karoline Hille hat den in der Höch-Forschung dominanten Mythos einer Künstlerin, die eins ist mit ihrem Garten, als „Fiktion“ bezeichnet und in der „Garten-Mythologie“ ein „Netzwerk“ erkannt, das „die ganze Person Höch einspinnt wie ein armes Insekt und aus dem es kein Entrinnen gibt.“ (Hille 2001: 183) Bei der folgenden exemplarischen Betrachtung des Briefaquarells von 1953 soll auf Höchs besondere Verbindung mit ihrem Garten eingegangen werden. Es soll jedoch nicht außer Acht gelassen werden, dass das Gärtnerische in Höchs Werk nur einen Teil innerhalb eines komplexen Zusammenspiels aus individueller Biographie, politischen Zwängen, zwischenmenschlichen Kontakten und künstlerischem Ausdruck darstellt.

3. Blick auf das Briefaquarell von 1953

Bei Hannah Höchs Briefaquarell (Abb. 1) handelt es sich um eine in Aquarell und Tusche angefertigte Bild-Text-Synthese. Es misst 48,8 x 62,5 Zentimeter. Betitelt als Selbst im Garten schickte Höch es im Sommer 1953 an ihre Schwester Marianne Carlberg. Zentrales Element, unten in der Mitte, ist die Künstlerin selbst, sitzend zwischen zwei Staudenbeeten und umgeben von Pflanzendarstellungen und angedeuteten strukturellen Elementen des Gartens wie Rankgittern, Töpfen, Wegen und Bänken.

Signifikant für das Bild ist die skizzenhafte Ausführung des Dargestellten: Nur wenige, entschiedene Tuschestriche reichen aus, um die markanten Merkmale der Form jedes Pflanzenindividuums hervorzuheben und dieses als Teil einer Art bestimmbar zu machen. Auch die Farbigkeit bleibt in den meisten Fällen nur angedeutet, und nur einzelne Teile der Pflanzen sind komplett ausgemalt. Doch auch hier wird trotz des abstrahierenden Darstellungsverfahrens eine genaue Pflanzenkenntnis der Künstlerin evident: Das Zusammenspiel der formgebenden Tuschestriche und der partiellen Kolorierungen mit Aquarell verleiht den vegetabilen Elementen einerseits eine abstrakte Individualität, orientiert sich dabei jedoch maßgeblich an ihrem natürlichen Phänotypus und macht sie so als Vertreterinnen ihrer Art erkennbar. So beispielsweise die Lupinen mittig links über dem Kopf der Künstlerin. Die einfache Linienführung vermittelt einen Eindruck von dem für Lupinen so typischen ährigen Blütenstand. Die nur partiell aufgetragene rote Farbe lässt vermuten, dass Höch ebenjene Lupinen aus Samen gezogen hat, die ihr der Architekt Adolf Behne im Jahre 1943 zukommen lassen wollte. So heißt es in einer Postkarte Adolf Behnes vom 26. Juni 1943: „Bei den schönen Blumen hier denke ich oft an Dich, ich will versuchen, Dir etwas roten Lupinensamen zu verschaffen. – Hebst du uns ein paar Johannisbeeren auf?“ (Behne 1995: 672)

Neben der abstrahierenden und dennoch signifikanten Darstellungsweise ist es die Beschriftung, die das Bild sowohl historisch gesehen als auch visuell besonders macht. Über die Jahre hinweg führte Höch ein ‚Gartenbuch‘ mit zahlreichen Notizen zu den Eigenheiten, Pflegeansprüchen und der Saisonalität ihrer Pflanzen. Dies zeigt beispielsweise ein Eintrag in alphabetischer Reihenfolge der Anfangsbuchstaben der Pflanzenarten:

Alpenrosen nicht zu tief pflanzen; Bäume erst schneiden, wenn Laub gefallen; zur Bekämpfung der Blattlaus Spiritus mit Schellack verwenden; […] Clivia Eierschalen geben; Canna Knollen wie Dahlien überwintern; […] Rhododendren nie Kalk geben; Rochea heißt die Pflanze, die mir Heinz mal schenkte, Bild davon gemalt, hat Vivell gekauft; Tulpen für’s Zimmer; Wein im März schneiden; Walnuß nur im Dezember schneiden.

(Zit. nach Sturm / Bauersachs 2007: 28, Herv. J.K.)

Weiter oben war von den ‚Findbüchern‘ die Rede, die Höch für ihre Sammlungen an Kunst, Literatur, Material und anderen Objekten anlegte. Ein ähnliches Prinzip und Ordnungs­system schien sie auch hier zu verfolgen. Viele ihrer Einträge in das ‚Gartenbuch‘ weisen auch biographische Einschläge auf und verweisen auf ihre künstlerische Tätigkeit. Wie den in der Lebenscollage (Höch 1995) versammelten Dokumenten zu entnehmen ist, war, ähnlich wie der Austausch von Kunstwerken, der Austausch von und über Pflanzen beziehungsweise Samen integraler Bestandteil der Korrespondenz Höchs mit Freund:innen und Kolleg:innen.

So moniert beispielsweise der Architekt Jan Buijs in einem Brief von 1934, dass die ihm von Höch gesandten Samen nicht aufgekeimt seien und dass wahrscheinlich der trockene Sommer dafür verantwortlich sei: „Die Pflanzen brauchen dringend Regen!“ (Buijs 1995: 519) In einer Korrespondenz zwischen Höchs Lebensgefährtin Til Brugman und dem Ärzteehepaar Nel und Bert van der Lek aus Den Haag äußern die Letztgenannten ihre Freude darüber, dass „Hannas Saat […] sehr üppig aufgegangen“ sei und sie die entstandenen Pflanzen nun „täglich im Salat“ essen (Van der Lek 1995: 536). Auch Ideen und Skizzen zu größer angelegten Umgestaltungen des Geländes sind Teil von Höchs ‚Gartenbuch‘.

In ihrem ‚Gartenbuch‘ sammelte Höch also verschiedenste Fakten zu den Pflanzenarten, ihrem Erwerb oder ihrer Vermehrung und Düngung, notierte sich die Bestände und führte sich durch skizzenhafte Zeichnungen mit Beschriftung mögliche Änderungen am Areal vor Augen. Doch an keiner Stelle des ‚Gartenbuchs‘ beschreibt Höch den genauen Aufbau des Gartens sowie die Platzierung der einzelnen Pflanzen. Tatsächlich ist es das Briefaquarell, das als das Einzige aus Höchs Nachlass erhaltene Dokument gelten kann, welches als ‚Gartenbeschreibung‘ bezeichnet werden könnte. So abstrakt die Darstellung zunächst erscheinen mag, ermöglichen die dargestellten Beete und die Ecke des Wintergartens doch eine genaue Lokalisierung auf dem Gelände. Beim Erstellen des Bildes muss die Künstlerin mit Blick auf den Wintergarten vor dem kleinen Nebengebäude gesessen haben (vgl. Sturm / Bauersachs 2007: 14).

Selbst im Garten zeichnet sich jedoch nicht nur durch diese historische Relevanz, sondern auch durch seine mediale Gestaltung aus. Wie bereits erwähnt, diente das Blatt als Brief an Marianne Carlberg. Im Bild enthalten sind handschriftliche Bezeichnungen und kurze Ausführungen zu den dargestellten Pflanzen. So sind zum Beispiel die Pflanzen links neben der Figur der Künstlerin als Gewächse ausgezeichnet, welche einen besonderen Duft ausströmen: „Düfte: Lavendel, Thymian, Diptam, Salbei, Nelken, Pfingstrose, weiße Petunien, Wicken, Iris, Rosen, Wein.“ (Transkription in Sturm / Bauersachs 2007: 15)

Im oben erwähnten Brief an Thomas Ring von 1943 hebt Höch die „Sonderstellung“ (Höch 1995b: 676) von Pflanzen hervor, die sich stark auf den Geruchssinn auswirken. Zur bildlichen Darstellung dieses sinnlichen Phänomens boten sich Aquarellfarben an, da diese durch ihr Verlaufen auf dem Papier ebenjene olfaktorische Qualität unterstreichen. Mittig am oberen Bildrand neben dem Fenster zum Zimmer vermerkt Höch: „[…]im Zimmer wächst der Kampfer wie verrückt.“ (Transkription in Sturm / Bauersachs 2007: 15)

Durch das Bild und die entsprechende Beschriftung werden also auch die dynamische Verflechtung des Gartens mit dem Haus und damit die Einheit, die diese bilden, hervorgehoben. Die persönlichen Nachrichten an ihre Schwester hat sich Höch, entsprechend dem System, mit dem sie auch die Pflanzen beschriftet, auf den Rücken gesetzt: „Bin ziemlich krank gewesen. Schon seit März. […] Geht aber aufwärts. […] Garten ist ein Gedicht. […] Will aber verreisen. Ich verreise in meinen Garten. […] Wünsche Euch einen schönen Sommer und das allerbeste. Eure Hannah.“ (Transkription in Sturm / Bauersachs 2007: 15)

Auffällig ist dabei die stark mit den farbenfrohen, sie umgebenden Pflanzen kontrastierende gräuliche Farbgebung des Körpers der Künstlerin. Dies kann in Verbindung zur im Text des Briefs angesprochenen Krankheit gesehen werden. Ähnlich wie im ‚Gartenbuch‘ vermischen sich im Briefaquarell also Informationen zu Bestand und Aufbau des Gartens mit privaten Nachrichten. Wie weiter oben anhand von verschiedenen Korrespondenzen mit Freund:innen aufgezeigt wurde, scheint diese Verquickung von Persönlichem mit Gärtnerischem eine Konstante in Höchs Biographie zu sein, welche gut an den vorliegenden Text- und Bildformen ablesbar ist – und natürlich am Garten selbst. Dennoch wäre es zu kurz gegriffen, in der Betrachtung von Höchs Leben und Werk alles nach 1939 auf die Verbindung zu ihrem Garten zu beziehen. Vielmehr ist dieser Teil eines Netzwerkes, welches sich Höch im Laufe ihres Lebens aufgebaut hat, um sich, selbst unter den schwierigsten politischen und persönlichen Umständen, noch die größtmögliche Autarkie zu verschaffen.

4. Fazit

Um sich der vielschichtigen Bedeutung des Gärtnerischen für Hannah Höchs Leben und Werk anzunähern, wurde zunächst auf Aufbau und Nutzung des Gartengrundstücks eingegangen. Dieses hatte Funktionen als Exil, Nahrungsquelle und Ort der Entspannung, aber auch Funktionen der Arbeit und Funktionen als Archiv. Die fast 40 Jahre, die Höch auf diesem Grundstück mit täglicher, stundenlanger Gartenarbeit verbrachte, machen das Gelände zu einem „einzigartigen Zeugnis“ (Sturm / Bauersachs 2007: 5) der Kunst- und Kulturgeschichte Berlins; ihre dortige Sammlung von Kunst und Zeitdokumenten machen das Gelände zugleich zum „größten DADA-Fundus überhaupt“ (Sturm / Bauersachs 2007: 6). Dieser Fundus beinhaltet sowohl Werke von Höch selbst als auch Erzeugnisse ihrer Freund:innen und Kolleg:innen sowie nicht zuletzt eine große Vielfalt an Pflanzen, denen neben ästhetischen und olfaktorischen Qualitäten auch eine intime Bedeutung zukam, da sie in vielen Fällen aus Höchs persönlichem Umfeld stammten oder sie von den Reisen der Künstlerin mitgebracht worden waren. Der Blick auf das Briefaquarell von 1953 verdeutlicht exemplarisch, dass der Garten eben nicht allein als ästhetischer Teil von Höchs Werk gelesen werden kann, sondern vielschichtige Funktionen erfüllt, welche weit über die häufig angenommene und durchaus geschlechtlich konnotierte Symbiose einer Frau und Künstlerin mit ihrem Naturparadies hinausgehen. Im Kontext des Bildes beziehungsweise des Briefes dient der Garten als Medium zur Übermittlung einer persönlichen Botschaft an ihre Schwester. Dabei ist sie nicht ‚eins‘ mit dem Garten, sondern er stellt als selbstgewähltes und zu großen Teilen selbst geschaffenes Exil die Umgebung für die momentane Verfassung der Künstlerin dar.

Zum Schluss seines Beitrages zu Hannah Höchs System der Erinnerung merkt Ralf Burmeister treffend an, dass es nicht möglich sei, Höchs „subjektive Lebenscollage zu rekonstruieren“ (Burmeister 2001: 32), sondern dass bei der Erschließung ihres Lebens und ihres Werkes jedes Detail zu beachten sei, damit sich neue Wege des Denkens über das Lebenswerk Höchs ergeben könnten. Obwohl es kaum möglich ist, Höchs subjektives Verhältnis zu ihrem Garten zu rekonstruieren, lohnt sich der Blick auf die Elemente ihres persönlichen Lebens (z.B. in Form von Archivakten) und ihres künstlerischen Gesamtwerks, die mit dem Garten verknüpft sind. Einerseits, um den Mythos einer romantisierenden Frau-Natur-Symbiose aufzubrechen, und andererseits, um ihr Werk in seiner Vollständigkeit und materiellen Diversität erfassen zu können.

Abbildung 1: Hannah Höch: Selbst im Garten (1953), Briefaquarell an die Schwester Marianne, 48,8 x 62,5 cm, Aquarell / Tusche.

  • Abb. 1: Hannah Höch: Selbst im Garten (1953), Briefaquarell an die Schwester Marianne, 48,8 x 62,5 cm, Aquarell / Tusche; Quelle: © privat; Bildzitat nach dem Abdruck in: Sturm, Gesine / Bauersachs, Johannes: Ich verreise in meinen Garten. Der Garten der Hannah Höch. Berlin 2007, S. 15.

Primärliteratur

  • Behne, Adolf (1995): Postkarte an Hannah Höch [Alpbach, 26.6.1943]. In: Höch, Hannah: Eine Lebenscollage. Archiv-Edition. Bd. II. 1921–1945. 2. Abt. Dokumente. Bearb. v. Ralf Burmeister und Eckhard Fürlus. Hrsg. v. Künstlerarchiv der Berlinischen Galerie, Landesmuseum für Moderne Kunst, Photographie und Architektur. Berlin 1995, S. 672.
  • Buijs, Jan (1995): Brief an Hannah Höch [Den Haag, 9.7.1934]. In: Höch, Hannah: Eine Lebens­collage. Archiv-Edition. Bd. II. 1921–1945. 2. Abt. Dokumente. Bearb. v. Ralf Burmeister und Eckhard Fürlus. Hrsg. v. Künstlerarchiv der Berlinischen Galerie, Landesmuseum für Moderne Kunst, Photographie und Architektur. Berlin 1995, S. 518f.
  • Höch, Hannah (1995): Eine Lebenscollage. Archiv-Edition. Bd. II. 1921–1945. 2. Abt. Dokumente. Bearb. v. Ralf Burmeister und Eckhard Fürlus. Hrsg. v. Künstlerarchiv der Berlinischen Galerie, Landesmuseum für Moderne Kunst, Photographie und Architektur. Berlin 1995.
  • Höch, Hannah (1995a): Terminkalender [„Merkbuch 1942“]. In: Dies: Eine Lebens­collage. Archiv-Edition. Bd. II. 1921–1945. 2. Abt. Dokumente. Bearb. v. Ralf Burmeister und Eckhard Fürlus. Hrsg. v. Künstlerarchiv der Berlinischen Galerie, Landesmuseum für Moderne Kunst, Photographie und Architektur. Berlin 1995, S. 669–671.
  • Höch, Hannah (1995b): Brief an Thomas Ring [Berlin, Sommer 1943 / Nachtr.: 9.4.1944]. In: Dies: Eine Lebenscollage. Archiv-Edition. Bd. II. 1921–1945. 2. Abt. Dokumente. Bearb. v. Ralf Burmeister und Eckhard Fürlus. Hrsg. v. Künstlerarchiv der Berlinischen Galerie, Landes­museum für Moderne Kunst, Photographie und Architektur. Berlin 1995, S. 676f.
  • Höch, Hannah (2001): Eine Lebenscollage. Archiv-Edition. Bd. III. 1946–1978. 1. Abt. Mit Texten von Ralf Burmeister, Eckhard Fürlus, Karoline Hille, Maria Makela und Eva Zürchner. Hrsg. v. Künstlerarchiv der Berlinischen Galerie, Landesmuseum für Moderne Kunst, Photographie und Architektur. Berlin 2001.
  • Van der Lek, Nel und Bert (1995): Brief an Til Brugmann [o.O., 12.7.1934]. In: Höch, Hannah: Eine Lebenscollage. Archiv-Edition. Bd. II. 1921–1945. 2. Abt. Dokumente. Bearb. v. Ralf Burmeister und Eckhard Fürlus. Hrsg. v. Künstlerarchiv der Berlinischen Galerie, Landes­museum für Moderne Kunst, Photographie und Architektur. Berlin 1995, S. 536f.

Sekundärliteratur

  • Burmeister, Ralf (2001): Hannah Höchs System der Erinnerung. In: Höch, Hannah: Eine Lebenscollage. Archiv-Edition. Bd. III. 1946–1978. 1. Abt. Mit Texten von Ralf Burmeister, Eckhard Fürlus, Karoline Hille, Maria Makela und Eva Zürchner. Hrsg. v. Künstlerarchiv der Berlini­schen Galerie, Landesmuseum für Moderne Kunst, Photographie und Architektur. Berlin 2001, S. 12–35.
  • Hille, Karoline (2001): Ein Kaleidoskop der unbegrenzten Möglichkeiten. Zu Hannah Höchs Photomontagen nach 1945. In: Höch, Hannah: Eine Lebenscollage. Archiv-Edition. Bd. III. 1946–1978. 1. Abt. Mit Texten von Ralf Burmeister, Eckhard Fürlus, Karoline Hille, Maria Makela und Eva Zürchner. Hrsg. v. Künstlerarchiv der Berlinischen Galerie, Landesmuseum für Moderne Kunst, Photographie und Architektur. Berlin 2001, S. 154–199.
  • Ohff, Heinz (1968): Hannah Höch. Berlin 1968.
  • Sturm, Gesine / Bauersachs, Johannes (2007): Ich verreise in meinen Garten. Der Garten der Hannah Höch. Berlin 2007.
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